The Flower Kinge - Waiting For Miracles Albumcover-minGenre: Classic Rock/Psychedelic Rock
Label: InsideOut Music
Veröffentlichung: 08.11.19
Bewertung: 9/10 (Bombe)

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Wenn eine Person wie Roine Stolt ein neues Album veröffentlicht, geht eigentlich jedem versierten Vintage-Rock-Veteranen das Herz auf. Der umtriebige Multiinstrumentalist und Bandkopf von THE FLOWER KINGS ist nunmehr seit 45 (!) Jahren in der Musikszene beheimatet und hat inzwischen mehr als 200 (!!) Songs komponiert sowie an 53 (!!!) Alben mitgearbeitet (inklusive Live-Alben). Somit sollte klar sein, dass der schwedische Musiker ein absoluter Meister seines Fachs ist. Beeindruckend ist allem voran, dass der in Uppsala geborene Stolt sich nicht einfach mit einem normalen Album begnügt. „Waiting For Miracles“ besteht aus  15 Songs, welche sich auf zwei CD’s verteilen und eine Gesamtlänge von knapp 85 Minuten aufweisen. Das sind bislang ziemlich viele und vor allem große Zahlen, die verdeutlichen, dass eine Sache definitiv in all den Jahren nicht gelitten hat: Der Spaß und die Leidenschaft. Auch die Wahl des Aufnahmestudios überließ Stolt keineswegs dem Zufall. Eingespielt wurden die Platten in den RMV Studios in Stockholm, dessen Besitzer niemand geringerer als Benny Andersson ist. Richtig gehört, DER Benny Andersson. Zusätzlich bewaffnet mit hochkarätigen schwedischen Musikern, ist der Ansatz die alte Schule des Prog-Rock mit dem Sound der 90er Jahre und der Frische von heute zu verbinden. Aber lest selbst:

Möwengekreische und diverse andere Tiergeräusche, sowie ein sich anbahnendes Gewitter eröffnen die Szenerie. Ein luftiges und sonores Piano eröffnet, beinahe im Stile von Elton John, das Album. Das fröhliche Intro bereitet den Weg für den ersten richtigen Song „Black Flag“. Dieser eröffnet mit einer akustischen Gitarre und dem charismatischen Gesang von Roine Stolt. Den David Bowie-Einschlag und auch das an die Beatles erinnernde Songwriting lässt sich nicht von der Hand weisen. Womit Stolt allerdings mehr als auftrumpfen kann, sind die Gitarrensoli, welche vor Charakter und Können nur so strotzen. Auch die Synthies bzw. das Keyboard trägt einen maßgeblichen Teil an der Szenerie bei. Die Nummer durchläuft allerlei verschiedene Phasen und erinnert ein ums andere Mal an einen Disneyfilm. Was keinesfalls schlecht ist, so haben die Komponisten, die für Disney tätig waren (allen voran Robert B. Sherman und Alan Menken) ein geniales Händchen für tolle Melodien und Arrangements, die zeitlos bleiben und einfach verflucht clever geschrieben sind.

Unmittelbar schließt sich der längste Song des Albums an. Mit gut zehn Minuten ist „Miracles For America“ wahrlich kein Leichtgewicht in Sachen Lauflänge. Von einer knackigen Orgel eröffnet und mit straffen Gitarren begleitet beginnt der Song sehr leicht und schwebend, bietet aber viele Umbrüche, die den Song spannend machen. Man kann sich beinahe vorstellen, dass auch ein Andrew Lloyd Webber bei dieser Instrumentierung vor Vergnügen mit der Zunge schnalzen würde, so ausufernd sind die Harmonien und so Broadway-tauglich ist die Musik. Natürlich lässt man sich in der Mitte viel Raum, den die Musiker in einer Livesituation je nach Gemütslage ausnutzen können, um in vollen Zügen zu jammen und sich die Bälle zuzuspielen. Die Vocals sind eher nettes Beiwerk, wobei wichtig zu erwähnen ist, dass der mehrstimmige Gesang hier noch echt ist. In Zeiten digitaler Bearbeitung ist es kein Problem dutzende Stimmen übereinander zu legen, doch ganz im Sinne des Hauptsongwriters wird hier noch völlig authentisch und echt gesungen! Ähnliche Gesangsstrukturen kann man bspw. auch bei Toto beobachten. Bloß hier ohne die Extraportion Schmalz.

Über jeden Titel einzeln und ausführlich zu sprechen würde den Rahmen mehr als sprengen. Dennoch gibt es enorm viele gute Ideen auf dem Album. In „Vertigo“ wird bspw. inklusive einer kleinen Meat-Loaf-Note den großen Pink Floyd Tribut gezollt.

„The Bridge“ bildet die Pianoballade und lässt an Simon & Garfunkel erinnern, wobei hier ein mächtiger Umschwung in der Mitte auf den Hörer wartet, der das Klangbild von melancholischem Schmachtfetzen hin zum erdigen Stadionrock führt.

Mit Orchester und Streichern, nebst Star-Wars-Feeling, geht es in „Ascending To The Stars“ buchstäblich gen Kosmos. Falls jemand Isao Tomita kennen sollte, so findet er hier allerlei Referenzen auf den japanischen Elektronik-Komponisten. Tomita wurde durch seine hektischen und sehr spacigen Stücke bekannt, die sich sehr oft des Synthesizers bedienten und diesen als Herzstück des Songs etablierten.

Als weiteres Beispiel für die Reminiszenzen an den klassischen Prog Rock könnte „Sleep With The Enemy“ stehen. Wobei hier ein nicht zu verschweigender ABBA-Vibe zu vernehmen ist. Das Drum-Fill in der Mitte erinnert wiederum an Phil Collins und Genesis.

Der Stil von THE FLOWER KINGS lässt sich in etwa mit einer Mischung aus vielen offenen Flächen, um sich greifender Dynamik und einem leichten Hang zur Dramatik zusammenfassen. So zu hören im Song „The Growning Greed“, welcher mit einem weiteren extrem coolen Solo überrascht.

Nach einer bereits sehr langen Reise beginnt mit „House of Cards Reprise“ nun die etwa halbstündige Coda des Albums. Das Re-Intro greift das Motiv des ersten Intros erneut auf.

Darauf folgend sind die wohl experimentellsten Songs der Platte(n). „Spirals“ wartet mit 80s Pop Drums auf und man möchte beinahe meinen das im nächsten Moment George Michael beginnt „Careless Whisper“ zu hauchen, doch am Ende wendet man sich mittles eines verzerrten Keyboards und funkigen Drums eher in Richtung Stevie Wonder.

Am Ende wird alles noch einmal gesammelt zusammengefasst. Ein langsamer Aufbau in „We Were Always Here“ bereitet einen Stilbruch vor, der das Hauptthema etabliert und mittlerweile gewohnt cineastisch gehalten wird.

Das waren jetzt sehr viele Namen und ebenso viele verschiedene Musikstile. Warum so ein anderes und experimentelles Album bei einem Metal- und Rockmagazin? Weil es einfach zu viel gute Musik da draußen gibt und sich ein Blick über den Tellerrand absolut immer auszahlt. Ohne Bands wie Genesis, King Crimson oder Pink Floyd gäbe es in dieser Form wohl auch kein Ghost, Dream Theater oder Devin Townsend. Der Stil und die Anspielungen auf dem Doppelalbum sind völlig beabsichtigt und stellen in ihrer Finesse und ihrem Knowhow einen garantierten Geheimtipp in Sachen „Musik von offenen Musikern für offene Musiker“ dar und sollte auch bei jedem halbwegs klassisch und weltlich grenzenfrei aufgestellten Musikfan Begeisterungsstürme auslösen. Eine Sache braucht man hier jedoch nicht erwarten: Schnell konsumierbare Hits für nebenbei. Und das ist auch verdammt gut so.