Dass die Digitalisierung unaufhaltsam voranschreitet, ist nicht erst seit gestern bekannt und auch, dass die Zeiten der Multimillionen Dollar Alben im Kosmos des Rock und Metal lange vorbei sind bestreitet inzwischen ebenfalls niemand mehr. Es war noch nie so simpel neue Musik zu entdecken, zu finden und zu hören und es war auch noch nie so einfach die eigene Musik zu produzieren und in den Äther zu blasen, doch es gibt Dinge, die auf den ersten Blick „normal“ erscheinen, auf den zweiten jedoch nachdenklich machen. Aber der Reihe nach.

Ganz klar haben Streamingdienste die Hörgewohnheiten eines jeden Menschen verändert. Dabei ist es egal, welchen der mittlerweile unzähligen Anbieter man benutzt, der Sinn dahinter ist schlussendlich derselbe: Musik gegen Zahlung zugänglich machen, egal wann und wo. So schön wie es auch ist, stets mit Musik umgeben zu sein, so inflationär ist die Musik allerdings dadurch auch geworden. Laut dem Buch von Wolfgang Ferenčak „Radio 4.0…Braucht Personality“ (2018, Link) wurden allein in Deutschland im Jahr 2018 etwa knapp 18000 Alben als Neuerscheinung erfasst. Das sind, wenn man davon ausgeht, dass ein normales Album etwa 10 bis 12 Titel umfasst, zwischen 180000 und 216000 Songs. Pro Jahr.
Es ist kein Wunder, dass der Trend, nun wo es Streamingangebote gibt, dahin abwandert, die Musik gezielt anzupassen um Streamingzahlen zu erzielen. Songs werden immer kürzer und komprimierter, sodass aus jeder Sekunde das Maximum herausgequetscht wird. Schlussendlich befeuert man damit, dass immer mehr „konsumiert“ statt wirklich „gehört“ wird.
Nun kann man natürlich als geneigter Fan im Metal sagen: „Das interessiert mich nicht. Das betrifft den Mainstream und Pop, aber nicht die Musik, die ich höre.“ Aber ist das so?

Die Einbrüche im Verkauf von physischen Tonträgern schreiten immer weiter fort und der Absatz von CDs hält sich mittlerweile die Waage zum digitalen Markt (Quelle: Bundesverband Musikindustrie (Link)). Warum auch ein Album kaufen, wenn man es direkt durch wesentlich weniger finanziellen Aufwand am Tag der Veröffentlichung direkt bspw. bei Spotify hören kann?
Warum in den Laden rennen, hart erarbeitetes Geld ausgeben und am Ende womöglich doch vom Album enttäuscht sein?
Dafür muss man kein „Justin Bieber Ultra“ sein. Dieser Trend hält ebenfalls, wenn auch mit einiger Verspätung, im Metalkosmos Einzug.
Es gibt gute Gründe sich dagegenzustemmen, die wesentlich tiefer liegen als träumerische Nostalgie oder auferlegter moralischer Legalismus.

Mit dem Tod der physischen Datenträger sterben viele Dinge. Nicht nur leidet die Kunst und das kreative Denken unter den Gegebenheiten der durch Streaming noch viel schnelllebiger gewordenen Gesellschaft, sondern auch die Coverartworks werden letztlich dadurch ziemlich unwichtig. Coverartworks und Bookletdesigns sind, neben der Musik, ein essenzieller Bestandteil im Rock und Metal. Das Durchblättern des Booklets, das Lesen der Texte, Fotos, Danksagungen, Hintergrundinformationen und so weiter werden schlicht und einfach ausgelöscht. Die Kunstform der Covergestaltung, mit seinen mal opulenten und beeindruckenden, mal ausufernden und detaillierten und manches mal auch peinlichen und vollkommen platten Stilen und Richtungen verschwindet unweigerlich im Nirgendwo. Ikonische Plattencover wie „Master of Puppets“, „Vulgar Display of Power“ oder „Transilvanian Hunger“ werden somit von der Bildfläche verschwinden.
Doch nicht nur dies allein wird begraben.

Ein Album stellt eine Schaffensperiode dar. Einen kurzen Abschnitt im Leben des oder der Künstler mit all seinen Einflüssen, Denk- und Sichtweisen, Inspirationen und gewissermaßen auch dem vorherrschenden Zeitgeist. Die Beschneidung auf nicht mehr als ein oder zwei Dateien in der Playlist oder der Festplatte nimmt dem Ganzen genau den Charme, dem ein Album normalerweise innewohnt und schadet so dem kreativen Prozess, da übergreifende und aufeinander aufbauende Songs so keine Chance haben ihr Potenzial zu entfalten. Musiker können sich auf lange Sicht gezwungen fühlen, zu komplexe Herangehensweisen abzustreifen, wodurch Hörer an immer flachere Profile gewöhnt werden. Eine Eigendynamik entwickelt sich.

Darüber hinaus beginnt die Magie des Wartens zu schwinden. Die Wartezeit, bis ein neues Album erscheint, von Vorfreude und Neugier geprägt, welche sich immer weiter steigern, bis man im Laden steht und das Erzeugnis letztlich in den Händen hält und zum ersten Mal auspacken kann, lässt sich nicht downloaden oder durch das Hinzufügen zur Playlist ersetzen. Trotz aller technischen Möglichkeiten und der Offenheit im Umgang mit diesen lässt sich das haptische Gefühl bzw. Erleben nicht reproduzieren.

Das Argument, dass diese Bedenken übertrieben sind, da es ja schließlich immer noch die gute alte Vinyl gibt, ist in der Form so auch nur bedingt treffend. Der Vinylmarkt ist über die letzten Jahre zwar neu erstarkt und Schallplatten sind, nicht zuletzt des Klanges wegen, nach wie vor beliebt. Allerdings hält sich die Anzahl derer, die einen Plattenspieler besitzen, doch eher in Grenzen. Schallplatten sind vorrangig Sammlerobjekte und können, aufgrund handwerklich aufwendiger Verfahren, nicht in einer Größenordnung produziert werden, die ausreichend wäre die „digitale Bedrohung“ auszuräumen. Wenn nicht sogar gerade ein Werk einem Brand zum Opfer fällt (Quelle: Loudwire (Link)) oder Originalaufnahmen auf alle Zeiten verloren gehen (so in den USA geschehen, dabei wurden bspw. Originalaufnahmen von u.a. NIRVANA, SLAYER oder SOUNDGARDEN zerstört (Link)).

And last but not least: Bands verlieren durch den Wegbruch des physischen Verkaufs eine zusätzliche Einnahmequelle. Gerade im Underground sind Bands auf jeden Euro angewiesen, der ihnen dabei hilft, die Sache am Laufen zu halten. Klar verdient man sich als kleinere Band mit CDs keine goldene Nase. Das schaffen heutzutage nicht einmal mehr die Großen. Darum geht es aber auch nicht. Vielmehr kann so der Frustrationslevel durch den digitalen Handel zusehends anwachsen, was sicherlich eine Sache ist, die möglicherweise viele gute Ideen direkt im Keim ersticken kann, noch bevor sie entstehen können.

Alles nur Panikmache oder bittere Realität mit Zukunftsaussicht?
Sowohl als auch.
Bis CDs, Vinyls, Tapes und dergleichen verschwinden, wird es wohl noch eine sehr lange Zeit dauern. Während sich der Mainstream dadurch kaputtwirtschaftet, gibt es im Metal immer noch ein gewisses Traditionsbewusstsein und eine völlig andere Auffassung von Musik und Kunst als solches. Zu eng ist die visuelle und akustische Schiene miteinander verwoben und zu stark ist die Bande der Fans mit ihren eigenen Exemplaren in der „Special Extended 1954 Pre-Master over 9000 aus dem ewigen Eis geborgen etc. pp.“-Version. Durch den leichten Zugang zum Onlinemarkt wurden so Türen für kleine Bands aufgestoßen, die vorher wohl ewig verschlossen geblieben wären und die jeweilige Musik bekommt nicht nur lokales, sondern auch internationales Gehör. Auch wenn die Bedingungen in Bezug auf die Vergütung definitiv geändert werden müssen.

Spotify, um bei einem der größten Anbieter zu bleiben (271 Millionen monatliche Nutzer), zahlt beispielsweise ab einer Streamingdauer von 31 Sekunden sage und schreibe 0,0048 Dollar pro Stream aus. Dahingehend sind andere Anbieter deutlich fairer. Apple Music zahlt hingegen bereits bis zu 7,83$ pro 1000 Streams. Spitzenreiter in diesem Feld ist Napster. Hier werden dem Künstler bis zu 16,82$ pro 1000 Streams ausgezahlt. Lars Ulrich bekommt wahrscheinlich allein vom Tippen dieses Satzes schweißnasse Hände und Herzrhythmusstörungen. (Quelle: Chip.de (Link))

Doch auch hier gibt es gute Alternativen, um es Indie-Künstlern zu ermöglichen, finanzielle Fiaskos oder motivationsfressende Miseren wenigstens ein Stück weit auszubremsen. Bandcamp bietet neben einer kostenlosen Registrierung, die Möglichkeit ein PayPal-Konto zu hinterlegen. Somit ist es möglich Musik als auch Merch online anzubieten und den größtmöglichen Gewinn einzufahren, ohne an Dritte lästige Gebühren abzudrücken.

Letztlich liegt es eben auch am Fan, wie sich die Gewohnheiten entwickeln und wie Strukturen sich etablieren. Will man kleinere Künstler unterstützen und ihnen die Möglichkeit bieten sich weiterzuentwickeln oder stärkt man dem kommerziellen Massenmarkt den Rücken?
Sicherlich liegt hierin die Gretchenfrage, die sich somit nicht einfach aus dem Bauch heraus beantworten lässt.
Jedoch ist es durchaus sinnvoll, statt der x-ten Maiden Platte oder dem drölften Five Finger Death Punch-Shirt, zu schauen, was man als Szenegänger direkt vor seiner Haustür findet und welche Perlen sich dort verbergen.
Diese gibt es nämlich zumeist absolut analog und nahezu greifbar, ohne ein dreimonatiges Abo, versteckte Kosten oder unliebsamen Schnickschnack.
Und dort steht dann auch „Social“ und nicht „Media“ im Fokus.
Doch das bietet erneut Zündstoff für einen anderen Blogartikel.