Seit Ende der 90er lässt sich ein gewisses musikalisches Phänomen beobachten, welches recht großen Anklang in der Metalszene findet. Bezeichnungen wie „Pagan Folk“ oder „Nordic Ritual Folk“ werden in den Raum geworfen und beschreiben Musiker, die mit vermeintlich traditionellen, aus dem (Vor-)Mittelalter stammenden Instrumenten vermeintlich authentische Kompositionen kreieren. Künstler wie Wardruna und Heilung haben sich bereits einen Namen gemacht und eine beachtliche Menge an Fans für sich gewinnen können. Doch was macht die Faszination dieser Bands und dieser Musik aus? Warum sind sie so beliebt in der Metalszene?
Das Interesse an mittelalterlich angehauchter Musik ist per se nichts Neues. So gibt es Bands, die ihren Rock bzw. Metal mit traditionellen Instrumenten wie etwa Dudelsäcken, Tamburinen und Schalmeien aufpeppen – dieser „Mittelalterrock“ erfreut sich einer gewissen Beliebtheit in der Schwarzen Szene sowie teilweise auch in der Metalszene. Dann gibt es wiederum Künstler, die sich eingehender mit Musikgeschichte beschäftigen und mit Instrumenten arbeiten, die nur wenige kennen oder die man in einem gewissen Maß erst in den vergangenen Jahrzehnten rekonstruiert hat. Auf konventionelle Instrumente wird an dieser Stelle größtenteils verzichtet. Da wären vor allem Faun, auch zum Beispiel Omnia, zu nennen.
Pagan Folk sticht hervor – Irgendwie klingen diese Künstler sehr viel authentischer, obwohl der Begriff der Authentizität an dieser Stelle natürlich mit Vorsicht zu genießen ist, da es schließlich keine Aufnahmen aus dem Frühmittelalter gibt. Es existieren durchaus Aufzeichnungen über Instrumente oder Geschichten, die vermutlich auch vertont wurden. Eine erste vollständig erhaltene Notation fand man in Griechenland, doch diese Tradition geriet in Europa mit dem Fall des Römischen Reiches in Vergessenheit. Erst im 9. Jahrhundert erarbeitete man in Klöstern wieder eine Notation im europäischen Raum. Wie immer waren Gassenhauer aus dem gemeinen Volk von solchen Entwicklungen erst einmal ausgenommen. Somit bleibt den heutigen Bands nichts anderes übrig, als vor allem eigene Kompositionen zu kreieren und auf ihre Intuition zu setzen bzw. ihre eigene Interpretation eines vermeintlich ursprünglichen Klangs zum Leben zu erwecken. Oder aber sie greifen auf das nächst ältere zurück, wie z.B. traditionellen Irish Folk, der mehr oder weniger ab dem 18. Jahrhundert auftauchte. Die ans Rituelle angelehnte Musik hat auch oft Wurzeln im Dark Wave/ Dark Ambient zu verzeichnen und ist somit vom Gothic beeinflusst.
Es scheint so, als träfen diese Künstler einen Nerv, denn Pagan Folk erfreut sich momentan großer Beliebtheit. Aber wieso kommt diese Art von Musik so gut bei den Leuten an? Kunst ist nicht nur kreatives Schaffen, sondern spiegelt auch immer Diskurse der Gesellschaft wider – in diesem Fall ist vor allem die europäische bzw. westliche Perspektive gemeint. Und wenn man sich anguckt, was für Themen und Entwicklungen die Menschen beschäftigen, lässt sich fast schon fundiert spekulieren, was mögliche Gründe für den Erfolg von Pagan Folk sind. Zum einen verlieren monotheistische Religionen, insbesondere das Christentum, an Einfluss, nicht zuletzt, weil die Institutionen stark an Glaubwürdigkeit und Autorität durch die Aufdeckung von z.B. Missbrauchsskandalen eingebüßt haben. Die Menschen wenden sich zunehmend von der Kirche ab, während das Entdecken der eigenen Spiritualität anscheinend wieder beliebter wird. Auch vorchristliche Strömungen haben wieder Auftrieb. Nordische Mythologie ist in der Metalszene natürlich schon lange hoch im Kurs, doch nun findet man vermehrt Bands, die sich mit der Mythologie ihres Herkunftslandes beschäftigen. Das lässt sich gut an paganlastigen Bands aus Ost(-mittel-)europa beobachten, die sich mit slawischen Gottheiten auseinandersetzen und ihr vorchristliches Erbe neu entdecken. Zum anderen haben sich mittlerweile viele konservative Lager, sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft, gebildet, denen die Globalisierung viel zu schnell geht und traditionelle Werte zu sehr untergraben werden. Und da wird es kniffelig, denn in den Kommentarspalten in sozialen Netzwerken, hier vor allem YouTube, lassen sich einige Beiträge finden, die aus rechten und rassistischen Kreisen stammen. Sie sehen diese Musik oft in Zusammenhang mit der Rückbesinnung auf die Wurzeln und dem „Wiedererwachen der weißen Rasse“. Hier mal ein paar Beispiele aus den Kommentarspalten auf YouTube (Stand 07.03.2020):
Bands wie Heilung haben bereits Statements abgegeben, in denen sie erklären, dass sie sich von politischen Strömungen deutlich distanzieren, der Fokus liege auf dem gemeinsamen Erleben der Musik.
Wie bei fast allem gibt es auch hier also eine hässliche Seite.
Trotzdem sind natürlich genügend Hörer vorhanden, die sich ohne übermenschlichen Hintergedanken zu der „Back to the Roots“-Thematik hingezogen fühlen. Eine größere Nähe zur Natur, die Suche nach der individuellen Spiritualität, die Neugier auf paganistische Bräuche und Traditionen – es gibt viele Gründe, warum sich jemand zu paganistisch-folklorischen Klängen hingezogen fühlt. Aber auch andere kulturelle Phänomene haben Einfluss auf die Gesellschaft. Die Beliebtheit der Serie „Vikings“ hat Wardruna eine größere Fangemeinde beschert und es folgten weitere Serien wie „Britannia“ oder „The Last Kingdom“, die sich in diesen Gefilden bewegen. Auch Serien mit Fantasy-Anteilen wie „Game of Thrones“ und „The Witcher“ tragen zu dieser Thematik bei. Außerdem ließ sich in den letzten Jahren beobachten, wie einige Pagan Folk Bands aus der Nische in den Mainstream wanderten und dort regelmäßige Erfolge für sich verbuchen können. Im deutschsprachigen Raum fallen einem da allen voran Faun ein, die durch den Wechsel zum Major Label zwar nun ein größeres Publikum erreichen, aber auch den Charakter ihrer Musik mainstream-gerechter gestalten mussten, was wiederum viele Fans der ersten Stunde vergrämt hat. Fauns Erfolg motivierte weitere Künstler ebenfalls auf diesen Zug aufzuspringen und so sehen wir uns mit Namen wie Oonagh und D’Artagnan konfrontiert, die massentaugliche, einfache Texte samt Melodien unters Volk bringen, eine fast schon märchenhafte Atmosphäre kreieren und so zum wachsenden Eskapismus beitragen.
Mittlerweile werden Pagan Folk Bands aufgrund ihrer Beliebtheit auch zu Metal-Festivals eingeladen, was zwar nicht jedem gefällt, aber weitestgehend doch auf Zustimmung stößt. Gut möglich, dass man diesen Moment als zweite Paganwelle bezeichnen könnte. Ende der 2000er hatten Pagan Metal und Folk Metal gerade in Europa Hochkonjunktur, wie die zahlreichen Heidenfest und Paganfest Touren zeigen. Bands wie Korpiklaani, Ensiferum, Equilibrium, Turisas und Arkona waren gefühlt das ganze Jahr unterwegs – die Nachfrage war aber auch riesig. In den letzten Jahren haben die Bands nicht mehr diesen Hype um sich, manche haben sogar komplett an Relevanz verloren und haben nur noch nostalgischen Wert. Viele Fans fanden die neueren Alben nicht mehr so mitreißend wie die früheren. Doch der Hunger nach Musik mit paganistischen Einflüssen blieb. Und dieser wird nun anscheinend von Bands wie Wardruna, Heilung, Danheim oder Forndom gestillt. Nun sind wir wohl in Phase 2. Da reichen ein bis zwei altertümliche Instrumente in einer Metalband nicht mehr – jetzt muss das Musikerlebnis authentisch und pur sein. So nah am (theoretischen) Original wie eben möglich. Bleibt abzuwarten, wie lange dieser Trend anhalten wird.