Wenn es um Kindheitstraumata geht, dann kommt Vielen ein ganz bestimmter Film ins Gedächtnis. Ein Film, der bei vielen Erwachsenen noch immer posttraumatische Belastungsstörungen auslöst. Ein Film, bei dessen Name allein sich viele direkt in Embryonalhaltung auf dem Boden zusammenrollen. Wer den Film nicht kennt, hält dies für Übertreibung, doch tausende Geschädigte stimmen hierbei zweifelsohne zu. Es geht natürlich um Watership Down (dt. Unten am Fluss) von 1978 – und nicht diese verkorkste Version vom großen roten „N“.

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(C) Nepenthe Productions / Cinema International Corporation

Der Film wird häufig mit „süßer Kanninchenfilm“ oder dergleichen beworben und ist in Deutschland bereits ab sechs freigegeben. Bei unseren Insulaner-Nachbarn lief der Film sogar komplett ohne Altersbeschränkung im Kino und lustigerweise wurde dieser später in Großbritannien im Fernsehen im Kinderprogramm gezeigt. Die Folge war, dass der zuständige Sender etliche Beschwerdebriefe erhielt, wie ein derart „sadistischer“ Film im Kinderprogramm gezeigt werden kann und es wurde verlangt, den zuständigen Programmdirektor direkt zu entlassen. Und wenn den Briten, denen für Filme wie „The Descent“, „Doghouse“ oder „Wake Wood“ ein Filminhalt zu unangemessen erscheint, dann hat das schon etwas zu bedeuten.
Wie dem auch sei. Die angstlösenden Mittel liegen bereit, Anti-Depressiva sind eingeworfen und der Psychiater ist auf Kurzwahl, perfekte Voraussetzungen für einen Filmeabend mit Zeichentrick-Kaninchen.

Der Prolog allein ist schon für sich genommen eine absurde Mischung aus Mythologie, Biologieunterricht und Drogenkonsum um drei Uhr morgens im Berghain. Wir lernen die Schöpfungsgeschichte kennen und lernen, dass der Oberboss-Hase El-Ahrairah quasi das Ur-Kaninchen ist und alle Kaninchen von ihm abstammen. Anfangs waren alle Tiere gleich, doch weil die Kaninchen sich zu stark vermehrt haben und der Halbgott Frith sauer auf El-Ahrairah wurde, wurden alle anderen Tiere mit Jagdinstinkt ausgerüstet, um die Kaninchen töten zu können. Die bildhafte Darstellung der Tiere, wie Fuchs und Eule, ist äußerst auf Bosheit ausgelegt und verstört sanfte Kindergemüter sicherlich.
Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, und um die Geschichte der Schöpfung abzurunden, lernen wir noch das schwarze Kaninchen des Todes kennen. Ich wiederhole: Das schwarze Kaninchen des MOTHERFUCKING Todes. Kinderfilm. Ab sechs. Soviel dazu. Meine Eltern haben mir früher immer von „dem bösen schwarzen Mann“ erzählt, der einen holen kommt, wenn man nicht brav ist und das hat mich genauso verstört, wie eben diese verfickte Kaninchenstory. Der Prolog endet damit, dass die Rolle der Kaninchen in der Welt eindeutig, eiskalt und lyrisch anspruchsvoll dargestellt wird. So heißt es: „Die ganze Welt wird dein Feind sein, Fürst mit tausendfachen Feinden, und wann immer sie dich fangen, werden sie dich töten. Aber zuerst müssen sie dich fangen, Gräber, Lauscher, Läufer, Fürst der schnellen Warnung. Sei schlau und voller Listen, und dein Volk wird niemals vernichtet werden.“
Ich bin jetzt kein Fachmann, aber für mich klingt das hart verstörend.

Der eigentliche Film startet ganz harmonisch mit angenehmer Musik. Wir lernen Hazel und Fiver kennen, Brüder aus demselben Kaninchenstamm. Fiver ist den ganzen Film über äußerst verstört und apathisch, so auch gleich am Anfang, Während Fiver sich auf die Suche nach etwas zu Fressen macht, stolziert sein Bruder Hazel durch die Gegend und wir lernen weitere Rammler des Stamms kennen. Fiver, der etwas zu Fressen findet, wird kurzerhand weggemobbt, sodass dieser nichts zu Fressen bekommt. Vielleicht ist er daher immer am Zittern, er ist einfach hungrig.

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(C) Nepenthe Productions / Cinema International Corporation

Plötzlich bekommt unser Kaninchen-Prophet Fiver apokalyptische Visionen, wie die komplette Heimat der Kaninchen in Blut ertrinkt und alle Wiesen und Wälder blutüberströmt sind und alles um sie herum stirbt. Hier bitte beliebigen Superlativ zu „WTF“ einfügen.

Unsere flauschigen Feldsalat fressenden Freunde beschließen, das Oberkaninchen über Fivers Berghain-Flashback-Trips zu informieren. Das Oberkaninchen gibt allerdings recht wenig auf die Visionen von Fiver und auch sein Bruder Hazel kann ihn nicht überzeugen. Daher beschließen die zwei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus ihrem Bau zu fliehen und so viele mitzunehmen, wie sie können und wollen. Da die Republikflucht allerdings verboten ist, müssen sie hierbei vorsichtig vorgehen.

Sie treffen auf einen Hauptmann, der offenbar dafür zuständig ist, alle Kaninchen brav im Bau zu halten und es folgt die erste Morddrohung. Hat glatt 13 Minuten gedauert, eigentlich kein schlechter Schnitt. Es folgen ein paar kleine Keilereien unter den Kaninchen, bis Hazel & Crew von dem ehemaligen Leibwächter des Oberkaninchen, Bigwig, gerettet werden. Natürlich kann das Ganze nicht ohne Blut und Drohungen erfolgen, ist schließlich ein Kinderfilm.

Die nächsten Szenen verlaufen ungewohnt friedlich, zwar wird hier und da eine bedrohliche Situation durch wilde Tiere, Autos oder dergleichen kreiert, jedoch wird dem jungen Zuschauer eine gewisse Form von Sicherheit suggeriert. Man könnte beinahe meinen, der Film entwickle sich doch noch zu einem echten Familienfilm. Dieses Gefühl hält doch auch nur glatt fünf Minuten an, bis das einzige Weibchen aus der Fiver & Hazel Crew, jetzt Boyband, von einem Raubvogel vom Boden gepflückt wird, was von den übrigen Rammlern mit Schulterzucken hingenommen wird.
Um sich von den Strapazen der Reise zu erholen, nächtigen die Rammler auf einem Friedhof, auf dem sie des nachts in einer Hütte von Ratten und einer Eule überrascht werden. Es kommt zur wilden Kaninchen-Schlägerei. Zu aller Überraschung: Ohne Opfer.

Die Kaninchen fliehen also weiter und hoppeln im Regen über Wiesen und Felder. Es ist mittlerweile etwa 1/3 des Films vorbei und langsam geht die heftige Scheiße los. Wir lernen Cowslip und andere Kaninchen aus einem neuen Bau kennen. Die gesamte Situation ist wohl das kafkaeskeste des ganzen Films. Es wirkt bedrohlich und selbst als Erwachsener wird man irgendwie ängstlich. Obwohl Cowslip von den Menschen täglich Essen bekommt, legen die Menschen in unmittelbarer Nähe zum Bau Fallen aus, in welche Bigwig direkt tappt.

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(C) Nepenthe Productions / Cinema International Corporation

Die Drahtschlinge um seinen Hals zieht sich in dieser Szene langsam aber stetig zu und das Blut fließt nur so. Kurz vor kmapp können Fiver, Hazel und die Anderen die Schlinge durchbeißen, sodass Bigwig überlebt, wenn auch sehr angeschlagen. Als kleines Kind mit sechs Jahren ist diese surreale Szenerie sicherlich nicht ganz greifbar, als Erwachsener versteht man aber eindeutig, dass hier der Umgang der Menschen mit der Natur von Szene zu Szene drastischer kritisiert wird.

Noch immer komplett verstört von dieser extrem kafkaesken Höhlenstory im Cowslip, geht es ohne Umschweife weiter und der Hauptmann Holly, von Fivers ehemaligem Bau, trifft auf die Gruppe und berichtet, natürlich schön detailreich, wie Fivers Visionen wahr geworden sind. Der Kaninchenbau wurde von Menschen zugeschüttet und ausgeräuchert, sodass alle Kaninchen, bis auf Holly, gestorben sind und die, die im Bau überlebt haben, sind dort elendig verreckt, da Berge von Leichen die Ausgänge blockiert haben. Das Ganze wird noch mit Musik untermahlt, die so eins zu eins in irgendeinem FSK18 Psychothriller laufen könnte. Weiter erzählt Holly, wie er auf den Bau der „Efrafa“ getroffen ist. Diese Gruppe, die diktatorisch von einem überdimensioniertem fetten Kaninchen namens Woundwort geführt wird, foltert Holly, da dieser einer Kaninchendame zur Republikflucht verhelfen wollte. Holly bekommt den Körper mit Krallen aufgeschnitten und die Ohren beinahe abgerissen. *Erich Honecker gefällt das*

Mit dem Auftauchen der Möwe Kehaar wird der Film tatsächlich noch echt amüsant, da die Synchro einfach großartig dämlich gemacht ist. Warum genau Kehaar verletzt ist und nicht fliegen kann, erfährt man nicht, allerdings entschließen sich die Kaninchen um Hazel & Fiver dazu, ihm zu helfen. Selbstverständlich nicht ohne Hintergedanken, denn die hinterfotzigen Hasen haben natürlich den Plan, Kehaar auszunutzen. Die Message hier hinter ist einfach nur grandios. Liebe Kinder, tut einfach nichts aus Freundlichkeit heraus. Nutzt Euer Gegenüber einfach immer schön aus.

Wie dem auch sei, Hazel und Blackberry laufen in einer erneuten Nacht-und-Nebel- Aktion zu einem nahegelegenen Bauernhof, um ein paar weibliche Kaninchen zu befreien. Ist ja logisch, wieso. Blackberry und ein weiterer Rammler (vielleicht Nokia, Samsung oder so) berichten Fiver davon, dass sein Bruder, beim Versuch die Weibchen zu befreien, mit einer Schrotflinte erschossen worden ist. Fiver nutzt daraufhin seine Berghain-Kräfte, um zu erkennen, dass Hazel gar nicht tot ist. Dazu kommen erneut prophetische-LSD-Trip Halluzinationen von bunten Kaninchen, die vom schwarzen Kaninchen des Todes gejagt werden – alles musikalisch untermahlt von „Bright Eyes“ von Art Garfunkel.

Die Rammler finden schließlich Hazel und Möwe Kehaar pickt die einzelnen Schrotkörner aus Hazels Wunde, um ihm das Leben zu retten. Aus unerfindlichen Gründen kommen die Kaninchen nun auf den Trichter, einen Spion, nämlich Bigwig, in den Efrafa-Bau einzuschleusen, um so viele Kaninchen wie möglich von dort herauszuholen. Während der Formulierung des Plans werden, wie sollte es anders sein, noch einmal verschiedene Szenen aus Efrafa, wie verschiedene Kaninchen verstümmelt werden, eingespielt. Unsere flauschigen Freunde werden, kurz nachdem dieser Plan gefasst wurde, von einer Patrouille aus Efrafa verfolgt, wissentlich, dass diese Patrouille alle töten würde, fliehen alle zum Fluß. Alle, bis auf Bigwig, dieser nutzt die Gelegenheit und lässt sich ergreifen, um bei Woundwort vorstellig zu werden und sich als Patrouillen-Kaninchen anzubieten. Woundwort nimmt das Angebot an. Bigwig tingelt also durch die Gegend, sucht Verbündete, trifft ein paar gefolterte Kaninchen und so weiter. Damit die Kaninchen Bigwig wiedererkennen, wird dieser noch mit tiefen Schnitten markiert. Bisschen rassistisch, für den sehen doch alle Rammler gleich aus!

Die letzten 25 Minuten des Films bestehen beinahe ausschließlich aus Flucht- und Kampfszenen. Zum einen fliehen die Kaninchen vor Woundwort, werden kurz gefangen genommen, befreien sich, verhandeln, drohen sich gegenseitig und so weiter. Schließlich schaffen es die Kaninchen um Hazel & Fiver endlich zu ihrem Bau und man könnte meinen, Ende gut alles gut. Aber falsch gedacht, denn es ist ja ein Kinderfilm! Hazel fasst einen Plan, der alle retten soll, doch hierfür braucht er Zeit. Bigwig stellt sich dem äußerst blutigen Kampf mit dem übermächtigen Woundwort, um seine Freunde zu retten. Währenddessen laufen Hazel und ein paar andere zu einem nahegelegenen Bauernhof, um in einer halsbrecherischen Aktion den dort angebundenen Hund zu befreien und zum Bau zu locken. Ist ja logisch, was jetzt passiert, oder? Genau – die Hasen schaffen es natürlich und locken den Hund zu ihrem Bau.

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(C) Nepenthe Productions / Cinema International Corporation

Hier tötet der Hund einfach alle Kaninchen des Efrafa-Baus mit einem Nackenbiss und schleudert die bluten Viecher noch ein wenig umher. In einer finalen Kampfszene tritt der Hund gegen Woundwort an, doch man erfährt nur, dass die Leiche von Woundwort nie gefunden worden ist und das Woundwort fortan von Kaninchen-Müttern genutzt wird, ihre Kinder dazu zu bringen, alles zu tun, was sie wollen. Denn unartige Kinder werden von Woundwort geholt. Das ist ein ganz neuer Grad an Abfuck.

In den letzten Szenen sehen wir Hazel, wie dieser vom schwarzen Kaninchen des Todes abgeholt wird und ins Jenseits hoppelt. Es folgen die Worte aus dem Anfang des Films über die Stellung der Hasen in der Welt. So schließt sich ein äußerst verstörender Kreis an Hasen-Psychothrillern.

Als Fazit bleibt zu sagen, dass mich die erneute Sichtung des Films deutlich weniger geschockt und verstört hat, wie zuerst angenommen. Ich war in der Annahme, dass diese Art Trauma durch die erneute Sichtung deutlich schlimmer wird. Jedoch war der Film gar nicht weiter schlimm und war in meiner Erinnerung einfach nur zum derbsten Shit überhaupt gepusht.
Dennoch ist dieser Film definitiv und unter keinen Umständen etwas für kleine Kinder. Und schon gar nichts für Kinder, die um und bei sechs Jahre alt sind. „Unten am Fluss“ hat Generationen verstört und wenn wir uns nicht erheben und etwas dagegen tun, wird der Film es auch noch lange weiter tun. Oh Sorry, war zu sehr im Republikflucht-Modus, da sind etwas die Pferde mit mir durchgegangen.