Genre: Classic Rock/Hard Rock/AOR Rock Label: Nuclear Blast Records Veröffentlichung: 28.02.20 Bewertung: 10/10 (heavy) Facebook Instagram
Ein umtriebiger Musiker war Björn „Speed“ Strid ja schon immer, aber seitdem er zusammen mit seinem Bandkollegen David Andersson (beide SOILWORK) das Classic Rock Ensemble THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA aus der Taufe hob, nimmt seine Arbeitswut ungeahnte Grenzen an. Die Grundsteine des Kollektivs wurden bereits 2007, während einer Tour mit SOILWORK, gelegt. Jedoch sollte es noch weitere fünf Jahre dauern, bis das Debüt „Internal Affairs“ das Licht der Welt erblickte. Beflügelt vom Sound und dem Look der 80-er Jahre steht THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA für große Melodien, Eingängigkeit und dem Charme der Neon-Epoche des Rocks. Mit „Aeromantic“ steht das inzwischen fünfte Album aus der Strid´schen Schmiede parat und will erneut, fernab jeglicher Scheuklappen, mit guter Laune und einem unnachahmlichen Vibe punkten. Die Vorgängerplatten konnten sogar Nominierungen bei den schwedischen Grammys einheimsen. Kein Wunder, so sind doch neben den angesprochenen Schlüsselfiguren Musiker wie Sharlee D´Angelo (ARCH ENEMY, SPIRITUAL BEGGARS), Jonas Källsbäck (MEAN STREAK) oder Sebastian Forslund (KADAWATHA) mit von der Partie. Bringen Sie ihre Rückenlehnen in eine aufrechte Position, sichern Sie sich mittels Anschnallgurt und klappen sie Tische hoch, wir heben nun ab in Richtung „Land der tausend Harmonien“.
Nach einer verrauschten Durchsage geht es auch direkt mit „Servants of the Air“ über die Wolken. Synthies und ein deutlicher „Van Halen“-Flair dominiert die Szenerie. Alles ist schön luftig und mit ordentlich Hall behandelt worden, damit auch genau das richtige Klangbild geboten wird, welches die Musiker beabsichtigten. Die charismatische Stimme von Herrn Strid zeigt erneut seine Wandelbarkeit und vor allem seinen tonalen Umfang. Die Basslinie, die im Hintergrund gesponnen wird, zaubert ein cooles Fill nach dem nächsten auf die akustische Leinwand und verdichtet genau an den richtigen Stellen die Riffs. So richtig will der Refrain zwar nicht zünden, da er den Hörer buchstäblich in der Luft hängen lässt, dafür sind das Keyboard- und die Gitarrensolo mal so richtig geil und schmissig.
Der Song fließt unmittelbar in die erste Singleauskopplung „Divinyls“ (Link) über und hier zeigt sich, welchen immensen Einfluss ABBA heute noch haben. Super poppig und beinahe klebrig süß schmiegt sich die Keyboardmelodie ins Ohrinnere. Irgendwie ruft der Song Erinnerungen an den Klassiker von BRUCE SPRINGSTEEN „Dancing in the Dark“ wach. Was keineswegs schlecht ist, jedoch ein deutlicher Hinweis darauf, dass man THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA lieber nicht hören sollte, wenn man mit Pop und Klargesang eher auf Kriegsfuß steht (solche Leute soll es ja anno 2020 immer noch geben). Für alle anderen gibt es hier einen ganz hartnäckigen Ohrwurm, der mit mehrstimmigen Gesang und einer klasse Performance von Björn Strid punktet und einfach super geschrieben ist.
Mehr ABBA! Auch im folgenden „If Tonight Is Our Only Chance“ kann man den Geist des schwedischen Pop-Vierers spüren. Die Nummer kann man sich super in einem Film mit Patrick Swayze vorstellen, während dieser sich auf die eine Show vorbereitet, die sein geliebtes Ferienressort retten soll oder auch Bilder aus dem Film „Rocky“ und der legendären Treppen-Szene schießen einem in den Kopf. Der Refrain inhaliert indes ebenfalls einen deutlichen SURVIVOR-Spirit und besticht abermals mit Ohrwurm-Charakter.
„This Boy´s Last Summer“ weißt hingegen mehr einen Fingerzeig in Richtung KISS auf, ohne Abziehbild dessen zu sein und geht wiederholt gut ins Ohr und vor allem ins Tanzbein, während das anschließende „Curves“ schon etwas frivoler daherkommt und dezent den Staub von Las Vegas atmet, bloß eben mit schwedischem Pop-Aroma und einem Pornofilm-Solo in der Mitte.
Was passiert wenn man James Bond mit einer Jukebox aus den siebziger Jahren in den Film „Tron“ transferiert kann man bei „Transmissions“ hören. Ein starker Song mit noch stärkerem Refrain. Alles hier dreht sich um die eine zentrale Melodie, an jeder Ecke wird diese wiederholt und aufgegriffen. Das kann man jetzt eindimensional finden oder man sieht es als cleveres Songwriting mit ziemlichen Know-how, wobei letzteres richtig wäre.
Der Titelsong versprüht eine Stimmung irgendwo zwischen „Grease“ und Disco/Soul/Funk der JACKSON 5. Die Basslinie im Hintergrund erinnert hingegen an den jazzigen Pop von JAMIROQUAI. Ein ziemlicher Kessel buntes, bei dem auch keinerlei Schwächen in der Rezeptur zu erkennen sind. Geiles Rockpiano vorm Gitarrensolo inklusive.
KIM WILDE trifft bei einem Interkontinentalflug auf PHIL COLLINS der gemeinsam mit JOURNEY reist und sich angeregt über PRINCE unterhält. Klingt wie der Anfang von einem Treppenwitz, ist aber tatsächlich das Szenario welches sich hier akustisch bietet. Man kommt zu der Schlussfolgerung, dass Björn Strid in seiner Tätigkeit als Frontmann einer Melodic Death Metal Band wie SOILWORK gnadenlos unterfordert sein muss, so versiert und wandlungsfähig wie seine Stimmbänder sind.
Als Fazit kann man THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA hier attestieren, dass mit „Aeromantic“ ein unglaublich vielseitiges Album geschaffen wurde, das vor Spielfreude und guten Ideen birst. Ein derart leicht zugängliches Werk, welches gleichzeitig so durchdacht ist, findet man nicht an jeder Ecke. Fernab jeglicher Konventionen und des alltäglichen grimmigen Metal-Zirkus ist „Aeromantic“ eine Platte die den Sommer über noch so einige Male rotieren wird und sich ganz tief in die Synapsen einbrennt.