Das Internet. Unendliche Weiten. Ein Ort, an dem man sich sowohl Bilder von exorbitant dekadent lebenden Influencern [Link], Erwachsenenfilme [„Das hättet ihr wohl gerne!“],Fail-Compilations [Link], Katzenvideos [Link] und zum Einschlafen nach einem langen Kneipenabend Tutorials über die phonetische Kommunikation mit Giraffen in vier Dialekten ansehen kann [Link]. Doch ebenfalls existiert in diesem wunderbar skurrilen Sündenpfuhl an Nullen und Einsen eine Plattform, die seit Jahren Dreh- und Angelpunkt für die Karriere von Musikern ist. Nein, nicht Napster. Die Rede ist von YouTube. Ohne einen gepflegten YouTube-Kanal (neben allerlei mehr oder weniger wichtigen Social Media Kanälen) geht kaum was in der modernen Musiklandschaft. Spätestens seit dem Ableben des Musikfernsehens entwickelte sich das amerikanische Unternehmen zu einem professionell agierenden Konzern, der Stars in Windeseile hervorbringen als auch wieder ins Nichts verbannen kann.


Wer sein neues Album bewerben will, kommt kaum darum herum ein aussagekräftiges Musikvideo hochzuladen. Wahlweise über den eigenen Kanal oder über den des Labels. Eine Sache, die durch den DIY-Geist des Videoanbieters ebenfalls gewachsen und erblüht ist, ist mit Sicherheit die Existenz von Musik-YouTubern.
Mittlerweile ist es ziemlich einfach, ein optisch und klanglich ansprechendes Produkt aufzunehmen und dieses auf der Plattform zu veröffentlichen. In der Gitarren-orientierten Welt, und spezieller im Metal, gibt es unzählige Kanäle, die passenden Content anbieten. Ob nun das Cover eines irrwitzig schwierigen Songs in der doppelten Geschwindigkeit, das Bedienen des Schlag- mit Sexspielzeug [Link] oder Musik aus der eigenen Feder. Das Angebot ist grenzenlos, bedient eine große Anhängerschaft und wird millionenfach gesehen. Man möchte meinen, dass YouTuber die „neuen Rockstars“ unter den Musikern sind. Doch dem ist seltsamerweise nicht so.
Zugegeben, keineswegs sind YouTuber unbekannte Gesichter in der Medienlandschaft und sicherlich hat der eine oder andere bereits einmal die Namen Jared Dines, Rick Beato, Rob Scallon oder Sarah Longfield aufgeschnappt, allerdings bildete sich mit der „YouTube-Musiker-Landschaft“ gewissermaßen eine Parallelgesellschaft.
Trotz dessen, dass die Videos und Songs der jeweiligen Akteure regelmäßig massiv einschlagen, liest man in der (Metal-)Presse recht wenig darüber.


Dies ändert sich auch kaum, sobald man einen Blick über den großen Teich wirft. Kaum ein großes Magazin berichtet regelmäßig über die erfolgreichen Musiker. Als Beispiel sei hier stellvertretend besagter Jared Dines ins Rund geworfen. Der amerikanische Musiker und YouTube-Star treibt seit Juni 2010 sein Unwesen und hat in diesen zehn Jahren rund 685 Millionen Aufrufe mit seinen Videos generiert. Sein Publikum ist allein auf YouTube 2,83 Millionen Abonnenten stark (Stand August 2020) und umfasst 620 Videos [Link]. Die Tageseinnahmen von Herrn Dines belaufen sich laut Socialblade.com auf bis zu 1000$. Pro Tag. Somit stellt Dines sowohl ein erfolgreiches als auch prominentes Beispiel für die Riege der „Metal-YouTuber“ dar. Wenn man sich jedoch anschaut, wie die Presse auf derartig erfolgreiche Personen reagiert, wird schnell klar, dass wir immer noch nicht vollständig den Gedanken akzeptiert haben, dass es neben Alben produzierenden Musikern eine neue Gattung gibt.
Während Loudwire gerade einmal fünf Artikel in Bezug auf die Person Jared Dines seit dem Jahr 2018 parat hat [Link], hält weder der Metal Hammer UK oder Deutschland, noch das Decibel Magazine oder der Rolling Stone Artikel bereit. Immerhin Metalinjection sowie Metal Sucks scheinen den Trend bemerkt zu haben. [Link 1, Link 2, Link 3, Link 4, Link 5].

Jared Dines

Doch woran liegt es, dass das mediale Erscheinen sich nur auf die jeweiligen Kanäle beschränkt?
Ganz klar muss man nicht über jedes neue Video der Künstler berichten, da diese auch teilweise lediglich der Unterhaltung dienen und nur einen losen Bezug zur Musik haben.
Hier kann definitiv nicht der Grund liegen. Eine Erklärung könnte jedoch das Fehlen einer bekannten aktiven Band sein. Viele der YouTube-Künstler haben zwar Bands am Start, werden jedoch durch ihren „Hauptbekanntheitsgrund“ nicht mit diesen assoziiert oder die Band profitiert nicht von diesem. Ein aktuelles Gegenbeispiel hierzu wäre der russische Sänger und Musiker Alex Terrible, welcher durch seine enorm wandelbaren und teilweise absurd tiefen Vocals, sowie seinen Covern von Pop- und Metalsongs Bekanntheit erlangte [Link]. Alex Terrible ist jedoch ebenfalls mit seiner Band Slaughter To Prevail in aller Munde. Nicht zuletzt durch den viralen Erfolg des Songs „Demolisher“ [Link].
Könnte es also sein, dass sich die breite Masse kaum für die ernst gemeinte Musik der YouTuber interessiert, sondern vielmehr nur für die leicht konsumierbare Unterhaltung, und dass der Schritt vom bereits aktiven Musiker hin zum „YouTuber“ leichter ist als umgekehrt?

Letztlich entstammen auch Animals As Leaders dem YouTube-Algorithmus und sind durch ihren anfänglichen DIY-Ansatz erfolgreich geworden, warum greift selbiges nicht auch ebenso bei Dines und Konsorten?
Ein vielleicht weniger ausdrucksstarkes Beispiel für den mäßigen kommerziellen Bühnen-Erfolg von „YouTube-Musikern“ (ein Unwort sondergleichen) wäre das Konzert von Andy James, The Fine Constant und Angel Vivaldi im Waschhaus Berlin aus dem September 2018. Jeder Musiker ist Meister seines Fachs und hat unglaubliche Fähigkeiten, dennoch waren auf dem Konzert lediglich zwischen 80 und 100 Personen anwesend, trotz einer Kapazität des fünffachen. Das Konzert fand zwar auf einem Sonntag statt, dennoch ist dieses Argument in einer Stadt wie Berlin nicht schlagkräftig. Das Interesse war schlicht und ergreifend nicht da. Eine Schande, denn der Gig war ein Manifest an Gitarrenkunst.
Das Paradoxon ist offensichtlich. Ein Millionenpublikum sieht zwar vom heimischen Bildschirm aus sehr gerne Andy James auf die Finger, sich jedoch das Spektakel live anzusehen scheint eher müßig bis uninteressant.

Andy James

Digitale Künstler schaffen scheinbar nur schwer den Sprung in die analoge Welt. Schaut man sich die derzeitige Situation in der Coronakrise an, ist es schon interessant, dass vorher „analoge“ Künstler gezwungen sind den Schritt in die digitale Welt zu machen um beispielsweise Gigs zu spielen.
Muss nun das Runde ins Eckige oder anders herum?
Feststeht, dass auch der Musikmarkt eine drastische Digitalisierung erlebt, die sich nicht nur auf Tonträger bzw. Albumveröffentlichungen beschränkt. Die Varianz im Erfolg liegt aber nach wie vor bei der Anhängerschaft. So richtig sind der digitale Markt und die analoge Welt dahingehend noch nicht zusammengewachsen und die Anerkennung der Leistungen und die Relevanz der neuen Künstlergeneration steht immer noch eher etwas abseits der etablierten und althergebrachten Strukturen. Es wird spannend zu beobachten, wie sich genau diese Strukturen an die Neuzeit anpassen werden. Si vis pacem, parabellum.