Wir laden zu einer weiteren Runde unseres Metaltalks ein. Diese Folge beschäftigt sich mit dem Thema:

„Ein Musikjournalist sollte ein gewisses Grundverständnis von Musik selbst haben und auch selbst ein Instrument spielen können, um eine fachkundige und fundierte Meinung abgeben zu können.“

Juli: Oh boy… heikles Thema. Der Ruf nach Expertise ist grundsätzlich immer gerechtfertigt. Das Spielen eines Instruments und die damit meist einhergehende technische Kenntnis von Musik ist sicherlich förderlich, wenn man die Musik anderer bewertet. Aber als notwendig würde ich diese Eigenschaften nicht sehen, wenn man als Musikjournalist (vor allem im Amateur-Bereich) arbeiten möchte. Wer sich für Musik interessiert, hat meistens bereits eine große Bandbreite an angehörter Musik und dementsprechend viele Vergleichswerte, mit denen man arbeiten kann. Je mehr Musik man hört, desto mehr bekommt man ein Gefühl dafür, was funktioniert und was nicht. Reviews sind vor allem eins: subjektiv. Klar kann man gewisse Kritikpunkte auch mit Fachwissen untermauern, sollte man sogar! Einfach nur zu sagen „Album XY ist scheiße“ kann jeder. Was sich aber meistens hinter dieser Aussage verbirgt, ist eine Meinung und keine Tatsache. Ob nun erfahren oder unerfahren: die Musiker und Produzenten arbeiten an ihrer Musik so gut sie können. Man selbst muss kein Instrument spielen, um diese Arbeit vernünftig würdigen zu können. Dazu gehören auch Kommentare zu Aspekten, die vielleicht noch nicht besonders ausgereift sind. Aber natürlich kann es mal passieren, dass einem ein Album unterkommt, welches gar nicht dem eigenen Geschmack entspricht. Genau das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man darüber ein Review schreibt – so ist es maßgeblich Geschmackssache, wie am Ende die Bewertung ausfällt. Mit einer nachvollziehbaren Begründung sollte das alles kein Problem sein. Für Leute, die sich in keinster Weise mit Musik auseinandersetzen, wäre das wohl ein Problem. Ergo, wenn man sich intensiv mit Musik befasst, muss man nicht zusätzlich ein Instrument spielen, um Musik bewerten zu können.

Marko: Was wäre die Welt ein schöner Ort, wenn Leute, die sich zu bestimmten Themenbereichen äußern, auch wirklich Ahnung von der Materie hätten. Tatsächlich habe ich diese Aussage manches Mal bereits im Kopf gehabt, wenn ich die Reviews von großen Magazinen oder populäreren Stimmen aus der Presse über manche Alben gelesen habe: „Hätte der auch nur einen Funken Ahnung, was da musikalisch passiert, sollte auch diesem Dulli klar werden, dass dieses Album komplette Rotze ist.“. Nun ist es aber so, dass man es in der Musik um bestimmte Muster, Formen, Gefühle, Atmosphären oder absolut subjektive Wahrnehmungen geht. Da ist es sicherlich erlaubt, wenn man weniger verkopft an die Sache geht, als jemand, der bereits beim ersten hören versucht zu analysieren, was denn da genau auf den Instrumenten passiert (#Selbstgeißelung). Auf der anderen Seite ist es auch gut so, dass der Kreis für Leute, welche im Musikjournalismus tätig sind, nicht durch eine elitäre Hürde wie das Beherrschen eines Instruments versperrt ist. Es kann definitiv den Zugang erleichtern zu verstehen, warum Band XY jetzt tut was sie tut, aber als zwingend notwendig erachte ich dies nicht. Wie auch bei Musikern gilt im Musikjournalismus: Weniger Kopf, mehr Bauch.

Iris: Nicht umsonst ist Wissen das wichtigste Gut der Menschheit – es bewahrt nämlich vor Dummheit, Ignoranz und Idiokratie. Schön finde ich in diesem Zusammenhang auch die Aussage: Aggression fängt an, wo Wissen aufhört. Hitzige und aggressive Konflikte und Diskussionen ergeben sich nämlich immer dann, wenn die Argumente ausgehen – weiß jeder, der schon einmal über Musik diskutiert hat. Die schönen Gespräche finden unter Liebhabern statt, die Ahnung von der Materie haben, sinnlose Kommentare wachsen auf Unwissenheit. Folglich sollte jeder Musikjournalist so viel Ahnung wie möglich von dem haben, wovon er spricht. Schön also, wenn er über seine Lieblingsbands spricht oder zumindest über Bands und Outputs, mit denen er sich eingehend beschäftigt hat. Ansonsten gilt wie immer im Leben: einfach mal die Fresse halten, wenn man keine Ahnung hat.
Ob man jetzt nur Experte sein kann, wenn man selber Musiker ist, wage ich zu bezweifeln. Erstens kommt es auch hier auf die Expertise an – denn nicht jeder Kreisklassespieler ist auch ein guter Trainer – und zweitens ist Abstand manchmal auch ganz förderlich – Spielertrainer funktionieren ja meistens auch nicht. Nicht jeder überragende Bundesligatrainer war früher selbst ein Weltklassefußballer. Das sind einfach zwei Paar Schuhe. Nicht jeder Musiker ist ein geborener Germanist/Kritiker, der gut formulieren kann, und nicht jeder gute Musikjournalist muss Ahnung von Akkorden und Arrangements haben (hat übrigens auch nicht jeder gute Musiker…). Fazit: Ein Kann, aber nicht ein Muss. Wichtig ist nur, dass man Leistung richtig bewerten sollte und den eigenen Geschmack nicht mit Qualität verwechseln sollte. Wertschätzung wird in unserer Gesellschaft nämlich viel zu klein geschrieben.

Chris: Ich denke beides hat seine Daseinsberechtigung. Nur so entstehen ja auch unterschiedliche Reviews. Machen wir uns mal nichts vor, Reviews sind niemals objektiv. Der eine feiert ein Album total ab, vielleicht ist es auch das neue Lieblingsalbum. Und der „Musikexperte“, der drölf Instrumente spielen kann und auch die letzten musikalischen Facetten eines Songs versteht, findet das Album schlecht, nur weil es instrumental nicht der große Meilenstein ist. Aber es ist doch nun mal so, dass zu Musik viel mehr gehört als reine Musiktheorie. Songs sind Erinnerungen, Emotionen, vermögen uns träumen zu lassen, regen die Fantasie an oder schaffen auch das Gegenteil, nämlich den Kopf abzuschalten und einfach mal an gar nichts zu denken. Ist jetzt ein musikalisch einfach gestrickter Song, den ich über alles liebe, weniger toll als ein abgespactes Klangfeuerwerk, mit dem ich aber von der Stimmung nichts anfangen kann. Außerdem wie definiert sich „musikalisches Grundverständnis“? Hat der Pop-Komponist, der einen Chart-Song nach dem anderen schreibt, weil er genau weiß, was der Mainstream hören will, nicht auch musikalisches Talent? Eigentlich will ich damit nur sagen, dass das alles super subjektiv ist und man sich sowieso niemals auf nur ein Review verlassen sollte. Am besten das Album selber hören und eine eigene Meinung bilden! (Habe ich uns gerade die Daseinsberechtigung abgesprochen???)