Genre: Post Rock/Post Metal/Progressive Rock
Label: Season of Mist
Veröffentlichung: 06.11.2020
Bewertung: Gut (6/10)
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Endlich Herbst! Endlich weniger Sonnenstunden! Endlich wieder die beste Zeit für traurige skandinavische Mucke! Zugegeben, SÓLSTAFIR aus Island sind allgemein eher schmachtend, schwelgend, sphärisch und voller positiver Energie, doch verbergen die Herren das alles unter meterdicken Moll-Schichten und einem, mal mehr und mal weniger, präsenten Black Metal-Vibe. Nach den letzten beiden Alben „Ótta“ und „Berdreyminn“ liegt die Messlatte für den neuen Output relativ hoch, denn die Truppe um Gitarrist und Sänger Aðalbjörn Tryggvason hat ihren eigenen erdigen und doch komplexen Sound inzwischen ziemlich perfektioniert und weiß inzwischen genau, wo sie zugreifen muss, um viele Emotionen freizusetzen. Durchsetzt sind die Lyrics der Songs von persönlichen Problemen, seien diese nun Alkoholismus, Depressionen oder der Verlust eines anderen Menschen. Und obwohl die meiste Zeit in der eigenen Muttersprache gesungen wird, kann man nahezu fühlen, was Tryggvason einem sagen möchte. Aufgenommen wurde das Album in den Sundlaugin Studios in Reykjavik.
Dem Albumcover liegt ebenfalls eine interessante Geschichte zugrunde. So ist auf dem Cover das Gemälde „Die Frau des Berges“ von Johann Baptist Zwecker zu sehen, welche wiederum die Verkörperung Islands darstellt. Allerdings kannten die Bewohner der Atlantikinsel lediglich einen schwarzweißen Holzschnitt des Gemäldes, bis das Original in einem walisischen Museum auftauchte. „Jeder kennt das Bild der Frau des Berges und auf einmal taucht einfach so das Original auf und ich dachte: ‚Oh mein Gott, das sind die schönsten Farben, die ich je gesehen habe!‘. Als wir es sahen, wussten wir, dass wir es benutzen müssen.“ – gibt Tryggvason zu Protokoll.
Mit dem längsten Stück steigen SÓLSTAFIR auch direkt in den Ring. Sofort verstreuen die Isländer ihre typische minimalistische Musik, in der man sich verlieren kann. Doch lange hält die Ruhe nicht an. Nach etwa einer Minute nimmt „Akkeri“ Fahrt auf und groovt schön euphorisch voran. Dass die Herren den Black Metal keineswegs verlernt haben, kann man durch die unerwarteten Einwürfe ebenfalls gut vernehmen und passt hervorragend ins Songwriting. Der Gitarrensound erinnert irgendwie an eine Mischung aus Krautrock und 90er Jahre Brit-Rock, setzt sich aber gut durch und harmoniert mit dem präsenten Bass und den pfundigen Drums, die wiederum einen authentischen 70’s Klang innehaben. Ein gelungener Einstand mit vielen Ebenen und griffigen Ideen.
Wie man viel machen kann, ohne wirklich viel zu machen, beweist der zweite Titel „Drýsill“. Karge Strukturen, die viel Fläche beschwören und nur fragile Fragmente, die den Kontext liefern bestimmen den Song. Darüber singt ein sehr emotionaler Tryggvason seine Litanei. Zum Ende erhält der Song einen fast schon indianischen Touch, mit vielen Trommeln. Interessant und definitiv nichts für Zwischendurch.
Experimenteller wird es da schon bei „Rökkur“. Mit Streichern und Piano eingeleitet wandelt sich der Song in ein Spoken-Word-Stück mit spacigen Gitarren und Xylophon-ähnlichen Klängen. So wirklich will sich aber nicht erschließen lassen, wo sich der Titel Zuhause fühlt. Das Feeling wird durch die repetitive Struktur und den vielleicht etwas zu sehr „leidenden“ Gesang eher blockiert als aufgebaut. Eine Nummer, auf die man eher verzichten kann.
Mit „Her Fall From Grace“ gibt es den einzigen Song in englischer Sprache und auch dieser verlässt den bislang beschrittenen Pfad nicht. Zart, verträumt, sphärisch, vorsichtig und alles andere als aufdringlich entfaltet sich auch hier der SÓLSTAFIRsche Klangkosmos. Inzwischen muss man tatsächlich einen äußerst groben Querverweis zu „Bitter Sweet Symphony“ von The Verve ziehen, auch wenn dieser sich lediglich auf die Streichersektion beschränkt, die hier genutzt wird. Abseits dessen bin ich mir recht sicher, vergleichbare Gitarren bereits einmal in den mittelspäten Werken der Arctic Monkeys gehört zu haben. Komisch, ist aber so.
Insgesamt bleiben energetische Ausbrüche allerdings mehr oder weniger die Ausnahme statt die Regel. „Dionysus“ punktet mit Black Metal-Flair und auch die letzte Hälfte von „Alda Syndanna“ weiß zu überzeugen, jedoch hat man spätestens bei „Til Moldar“ verstanden, dass SÓLSTAFIR kein Problem damit haben, die Sachen langsamer angehen zu lassen. Das eignet sich hervorragend für einen herbstlichen Spaziergang im Wald oder lange Autofahrten über Land, nicht jedoch zum aktiven Zuhören. Daran ändert auch der bluesige Ansatz bei „Or“ samt sexy Rockpiano und kratzender Slide-Gitarre nichts und auch das Riffing in „Úlfur“, welches in Richtung Baroness und „Take My Bones Away“ schielt, will das Ruder nicht herumreißen.
Ohne kaum ein einziges Wort verstanden zu haben, habe ich dennoch ein Stück weit beim Leid der Band partizipiert und hatte den einen oder anderen Moment, der unter die Haut geht. Auf die gesamte Länge des Albums sind die ruhigen und introvertierten Passagen jedoch recht ermüdend. Davon lebt zwar die Musik von SÓLSTAFIR, ist mir jedoch, zumindest auf Endless Twilight of Codependent Love, ein wenig zu konstruiert und zu gewollt. Wo „Òtta“ beispielsweise äußerst authentisch klang, ist bei Endless Twilight[…] das Erfolgsrezept so nicht aufgegangen. Das Album ist mitnichten schlecht, jedoch eher ein durchschnittliches SÓLSTAFIR-Album.