Fuck The Facts CoverGenre: Grindcore/Post-Grindcore
Label: Noise Salvation
Veröffentlichung: 02.11.2020
Bewertung: 8/10 (Klasse)

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Wenn man den Katalog studiert, den FUCK THE FACTS bereits angesammelt haben, kann einem schier schwindelig werden. Neun Studioalben, 39 (!) Splits, elf EP’s und zwei Livealben können sich die Kanadier innerhalb des 21-jährigen Bestehens auf die Ahornfahne schreiben. Das sind in etwa drei Veröffentlichungen pro Jahr. Diese Fließbandarbeit mag vielleicht seinen Grund in der hohen Fluktuation an Bandmitgliedern finden. In den früheren Jahren kamen und gingen acht Musiker, doch seit 2009 scheint das Lineup stabil zu sein. Für das nunmehr 10. Studioalbum wich die Band ebenfalls nicht von ihrer Linie ab und fertigte die Platte, vom Songwriting über die Aufnahmen, Mixing und Mastering, sowie Artwork, vollständig im Alleingang an. Respekt an dieser Stelle vor diesem Pensum. Für den Titeltrack wurde ebenfalls ein schmuckes Musikvideo gedreht, welches ihr euch hier zu Gemüte führen könnt. Mit ihrem brutalen, aber dennoch komplexen Sound erspielte sich die Band auf unzähligen Touren einen Kultstatus innerhalb der kanadischen Grindcore-Szene und bespielte von Festivalbühnen bis Oma Ernas Keller so ziemlich jeden Quadratzentimeter. Doch genug des Kennenlernens, gehen wir auf Tuchfühlung.

Der Einstieg mit „Doubt, Fear, Neglect“, welcher zugleich der längste Song auf dem Album ist, gestaltet sich zunächst sphärisch. Doch der Schein trügt und so fetzt nach anfänglichem Schwelgen direkt die erste Hardcore-Salve rein. Aufgelockert durch gelegentliche Melodie-Einschübe entfaltet sich ein ziemlich breites Spektrum, welches den Begriff „Grindcore“ ad absurdum führt. Mit einfacher Songstruktur und dem Beibehalten eines Stils scheinen es FUCK THE FACTS nicht so zu haben, daher wird hier von Post Hardcore über Black Metal Anleihen bis Death Metal alles in den Mixer geworfen, was gerade passt. Absolut kein wirklicher Hörgenuss, aber den muss man ohnehin hinten anstellen, wenn man dieses Album überstehen will.

Mit „Ailleurs“ setzt es dann hingegen knallharten Grind der „Hau-Drauf“-Marke. Knapp über eine Minute lang und bis zum Bersten voll mit Aggression. Dieser Eruption schließt sich der Titeltrack an, welcher erneut den Schwenk in die melancholische und avantgardistische Richtung einschlägt. Blastbeats und dramatisch in Szene gesetzte Akkorde geben sich die Klinke in die Hand, während Sängerin Melanie Mongeon sich die Seele aus dem Leib schreit. Hier könnte man Querverweise zu den französischen Post Black Metallern Déluge ziehen, die vergleichbar melodiös, als auch destruktiv agieren. Bloß klingen diese dabei wesentlich kontrollierter als FUCK THE FACTS.

Das Wechselspiel aus eingängigeren Passagen und Rasereien mit leichtem Napalm Death-Feeling zieht sich unablässig fort und speit mit „Sans Lumière“ einen weiteren Hassklumpen aus, der auch groovige Parts bietet. Die Musik der Kanadier klingt insgesamt so, wie ein Gemälde von Andrè Breton aussieht: Surreal, chaotisch, eigenartig, aber irgendwie doch interessant und durchdacht. Klanggeworender Surrealismus mit Ansätzen des Dadaismus ohne selbiger zu sein.

Besonders cool kommt der tonnenschwere Riff in „Everything I Love Is Ending“, der durch seine Simplizität gut zur Geltung kommt. Insgesamt ein stimmiger Titel, der sich, zumindest vom Arrangement, am ehesten bequem hören lässt. Wobei „bequem“ hier keinesfalls wörtlich genommen werden sollte, denn den einen oder anderen Kniff in die Ohrläppchen lässt sich die Band nicht nehmen.

Eine Sache, die FUCK THE FACTS anderen chaotischen Mathcore/Grindcore Bands deutlich voraus haben, ist, dass sie sich darin verstehen zwar viele verschiedene Elemente einzubinden („Dropping Like Flies“), diese aber sinnvoll umsetzen und den Hörer nicht überfordern. Die Band weiß zwar, wie man vielschichtige Songs schreibt, schubst einen aber nie vollends über den Rand, sondern zieht an den richtigen Stellen die Bremse und wechselt das jeweilige Motiv. Das bedeutet zwar auch, dass eine klare Struktur nirgends auszumachen ist und man sich vom „Strophe-Chorus-Strophe“-Prinzip verabschieden muss, dieser Abschied jedoch zu verschmerzen ist.

Eine interessante Platte, die mehrere Durchläufe benötigt, um erfasst werden zu können. Eine Sache, die man klassischem Grindcore mitnichten zusprechen würde, da es dort eher um Aggression und Geballer geht. Dass dieses Konzept jedoch auch mit Melodie und deutlich mehr Herz funktioniert, beweisen zum Schluss „An Ending“ und „_cide“ exemplarisch am besten. Man darf gespannt sein, was noch alles in den Köpfen der Truppe steckt, wenn selbst nach so einem großen Schaffenswerk noch derartiges möglich ist.