enslavedGenre: Progressive Black/Viking Metal
Label: Nuclear Blast
Veröffentlichung: 2.10.2020
Bewertung: Bombe (9/10)

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Ich trau es mich schon fast nicht sagen, aber die Urgesteine von ENSLAVED sind an mir bisher absolut vorüber gegangen, was vermutlich an der Viking Komponente liegt, die mir nicht besonders liegt. Vielleicht kann ich euch dann aber umso unvoreingenommener und objektiver meinen Eindruck vom neuen Album schildern. Zunächst muss man sich einmal vor Augen halten, dass das bereits ihr fünfzehntes (!!) Album ist, seit die Band 1994 ihren ersten Longplayer veröffentlicht hat. Man kann klar hören, dass die Band ihre Ursprünge im Black Metal hat, allein der Gesang mit seiner kratzigen Komponente stellt diese Verbindung her. Ansonsten mischen die Norweger so was von munter alle möglichen Stiltöpfe miteinander. Neben den Screams taucht Klargesang auf, die Songstrukturen werden progressiv rhythmisch aufgebrochen und unterbrochen von einem Hauch an Blastbeats. Die Instrumente dürfen alle einen ausgewogenen Part spielen, so dass auch der Bass seinen Auftritt hat. Auch wenn es nicht dasselbe ist, so erinnert es mich stark an (mittel)alte OPETH, die ruhige Parts mit verrückten Progparts und klassischen Metalpassagen mischten. Die cleanen Vocals erzählen von Utgard. “Utgard kann vieles bedeuten,” sagt Grutle Kjellson. “Ein Bild, eine Metapher, ein esoterischer Ort. In der nordischen Mythologie ist es ein Ort, wo die Riesen leben, wo die Götter Asgards keine Macht besitzen. Auf psychologischer Ebene könnte das vergleichbar mit Schlaf, Träumen oder luziden Träumen sein; die Grenzen des eigenen Bewusstseins und was dahinter im Unbewussten liegt. Utgard repräsentiert etwas, das schwer oder sogar unmöglich zu beherrschen ist. Dieses Etwas ist gefährlich, chaotisch, unkontrollierbar. Aber trotzdem ist an einem Ort wie diesem etwas Magisches. Das ist der Ort, von dem auch Wahnsinn, Kreativität, Humor und Chaos stammen”. Textlich klammern sich die Nordmänner also nicht an die Klischees der nordischen Mythologie, sondern finden auch hier ihre eigene und moderne Interpretation, wie das Cover gut illustriert, das nicht auf Schiff und Rabe verzichtet, aber unaufgeregt in einer Nebelszene kombiniert.

In „Sequence“ wird das Ganze zwischendurch sogar orchestral aufgemischt, Glocken klingen im Hintergrund, bevor das Finale rockig in den Blackened Bereich rüberwandert. „Homebound“ startet dagegen wesentlich flotter und präsentiert ein wunderschönes Solo, das zum Schwelgen einlädt. Neben Cleangesang und Screams findet sich hier auch noch eine rockigere Variante der Cleanvocals, die auf einer klassischen Doublebass liegen.

Etwas gruselig wird es bei „Urjotun“, das von 90er Jahre Elektrobeats dominiert ist (grauenvoll! Bitte nicht!), und kaum innovative oder spielfreudige Ansätze bietet. Den Song kann man getrost aus der Playlist streichen, die OPETH-Gesänge am Ende retten das Ganze nicht mehr. „Flight of Thought and Memory“ schlägt dann wiederum in eine ganz andere Kerbe und präsentiert sich zunächst als klassischer Black Metal Song mit dissonanten Gitarrenriffs, Blastbeats und Screams, bevor er wieder in die Prog-Richtung kippt, mit melodischem Klargesang und fließenden Gitarrenläufen. Danach geht’s wieder zurück in die andere Marschrichtung. Der Sound ist dabei, wie auf der ganzen Platte, perfekt ausbalanciert, aber nicht überfett. Es scheppert also kein Garagenblech, aber zu viel Bass gibt es auch nicht, recht optimal abgemischt.

„Storms of Utgard“ knüpft wieder an die ersten Songs der Platte an. Es bietet einen fließenden, trotzdem variablen Rhythmus, der mit den progigen Gitarren harmoniert und genügend Platz für Soli und unterschiedlichen Gesang lässt. Definitiv ein Highlight der Platte. Der letzte Song bietet noch einen beruhigenden, wohlklingenden Abschluss, der den Hörer mit wohldosierten Melodien einmummelt.

Die Platte ist so unglaublich vielfältig und zeigt ein dermaßen breites und ausgeklügeltes musikalisches Verständnis, dass sie sicher auch nach dem zehnten Hören noch nicht langweilig wird – trotzdem fehlen weder Hooks noch Melodien, die sich problemlos in den Gehörgängen festsetzen. Ich bin schwer beeindruckt. Punktabzug für den Technosong, den habe ich nicht verstanden.