Was haben nackte Körper, klassische Literatur und populäre Musik gemeinsam? Spoiler: Nichts. Doch genau darum soll es gehen.
Ungefähr sieben Millionen Jahre nachdem sich die Affen dazu entschlossen von den Bäumen zu klettern, Häuser zu bauen, monogam zu leben, Versicherungen abzuschließen und sich immer wiederholend gegenseitig über den Haufen zu schießen, hat sich in der Grundstruktur des modernen Menschen, im Vergleich zu damals, relativ wenig geändert. Nach wie vor sind wir empfänglich für plumpe Reize und können uns gegen den in uns gespeicherten Vervielfältigungsdrang nur mäßig wehren. Genau diese Saiten bringt auch die Musikbranche regelmäßig in uns zum Klingen, wenn mangelndes Können durch die Zurschaustellung von nackter Haut kompensiert werden muss [Link]. Mit immer rigideren Schritten und immer stumpferen Texten [Link] wird in uns die Fleischeslust geweckt, um uns für ein Produkt, eine Marke oder einen Künstler zu begeistern, der/die es unter Umständen, ohne das Vorhandensein der Optik, gar nicht über die Außengrenzen des jeweiligen Heimatkaffs geschafft hätten. Jetzt ist das alles in der Mainstream- bzw. Radiomusiklandschaft oder einzelnen Musikgenres nichts Neues. Sogar Elvis selbst wurde damals als viel zu erotisch angesehen und es hagelte hysterische Aufschreie aus den Mündern von pubertierenden jungen Frauen und in den Grundfesten erschütterten Eltern sobald die Hüftregion des Kings im Takt der Musik zuckte. Der Heavy Metal hat sich hingegen zur Bastion für Liberté, Egalité und Fraternité entwickelt, welche unerschütterlich Einflüssen wie simpelster Effekthascherei oder geschlechterspezifischen Anspielungen widerstehen kann und in der fehlende Relevanz und Einfallslosigkeit nie und nimmer durch Freizügigkeit oder Attraktivität ausgeglichen wird. Etappensieg des Humanismus! Nehmt das, weichgespülte BTS- und Blackpink-Anhänger! Friss dies Nikki Minaj-Fan! Verschluck dich daran, Follower von Cardi B.!
…Naja…so einfach ist es dann doch nicht.
Die kommerzialisierte Nutzung von unbedeckten Körpern oder einer überproportionalen Attraktivität lässt sich auch bestens im männlich dominierten Metal finden. Albencover mit leicht bekleideten Frauen [Link], bis zur Absurdität übertriebene Texte [Link] oder durch Tanzeinlagen aufgewertete Bühnenshows gehören ebenso zum Alltag wie die nach wie vor anhaltende Reduktion der Frau auf den Wert eines nett anzuschauenden Accessoires oder potentiell erstrebenswerten Wirt für die maskulin angepflanzte Leibesfrucht. Auch im Metal lässt sich durch den gezielten Einsatz von Reizen Kasse machen. Oder geht ernsthaft jemand zu einem Konzert von Steel Panther, weil die Musik ja so einfallsreich und die Texte so tiefgründig sind [Link]? Wie selbstverständlich gilt das Prinzip: Je simpler der angesprochene Trieb desto größer die angesprochene Masse. Eine Meute von 80.000 Menschen wird man wahrscheinlich durch die Darstellung von Brüsten bei einem Rockkonzert eher zum Ausrasten kriegen, also durch eine wissenschaftlich fundierte Analyse von Kafkas „Die Verwandlung“, nach der sich, ob der möglichen Alternative, sogar die erzkonservativsten Germanistikstudenten zuerst in ihre Ausgabe der Biographie von Konrad Duden und dann in den Hintern beißen werden.
Doch es wäre zu kurz gegriffen immer nur auf die femininen Reize zu verweise. Jedoch funktioniert es beim Typus Mann völlig anders. Gestählte Muskeln die mit mehr Öl in Berührung gekommen sind als sämtliche Billig-Fritten von Burger King [Link], martialische Posen mit Schwertern, Schildern [Link] oder allerlei Lederkluft [Link] und die Hochstilisierung zum übertrieben mächtigen Drachentöter, der sogar ein wildes Glurak auf Level 100 mit bloßen Händen zerreißen könnte [Link]. Während Frauen allzu oft als nettes Beiwerk abgetan werden zeigen die Männer stolz was sie als harten Kerl dastehen lassen und scheren sich gar nicht darum, dass man sie gar nicht darum gebeten hat, doch mal zu zeigen wo das ganze Geld für den Hobbykeller geblieben ist, dies aber dem gängigen Bild eines krassen Metal-Musikers entspricht. Die Zurschaustellung dieses idealisierten Typus Mann wird ebenfalls benutzt um Umsatz zu machen. Zwar auf eine subtilere Art und Weise und wesentlich kommentarloser als bei dem Geschlechtergegenstück, jedoch mit keinem anderen Ziel. Oder glaubt tatsächlich jemand das die verlinkten Plattencover einen anderen Zweck erfüllen als eine unterschwellige Identifikation mit dem Dargestellten zu etablieren? Getreu dem Motto: „Wenn ich das kaufe/höre fühl ich mich der Sache ein Stück näher und kann vielleicht immerhin ein Garados erlegen.“.
Doch sind wir nicht inzwischen besser als das? Selbstverständlich hat jeder Mensch der Erde das Recht darauf sich so zu zeigen wie es ihm gefällt, ob züchtig bekleidet oder zeigefreudig. Die Schmach liegt viel eher darin sich einerseits von „Optik“ blenden zu lassen und andererseits die „Einfältigkeit“ des Konsumenten dahingehend auszunutzen. Niemand kann einem Phil Bozeman verwehren, dass er mit einem Selfie auf Instagram Likes einkassiert [Link] und niemand hat das Recht, Musikern oder Künstlern zu diktieren, dass sie Profit aus ihrem Aussehen schlagen oder nicht, schließlich kann niemand etwas dafür, dass er so aussieht, wie er nun mal aussieht. Fraglich wird es jedoch, sobald darüber hinaus eine Abwertung der Person entsteht, egal auf welcher Seite des Spektrums, welches man als „Schönheitsideal“ bezeichnet, die jeweilige Person nun liegt (diesen Satz könnt ihr übrigens prima als Stänkerei bei einer hitzigen Meinungsverschiedenheit eurem Gegenüber an den Kopf werfen). Es liegt in der Natur der Sache, dass gewisse ästhetische Aspekte zu jeweiligen Kunstgattungen zählen, allerdings sollte dies immer im Kontext und mit gegenseitigem Respekt geschehen, denn andernfalls unterscheiden wir uns nicht von unseren kletternden Vorfahren, sondern bauen Stereotype nur weiter aus und untermauern bereits vorliegende Schieflagen. Daher sollte man zunehmend dazu übergehen, hinter die Fassade zu schauen und Inhalte auf Substanz zu prüfen.