Ja Freunde, es ist wieder so weit und es gibt endlich den lang gewünschten dritten Teil unserer Rubrik „Kindheit ruiniert!“. Passend zur weihnachtlichen Stimmung kommt in dieser Ausgabe ein Film, den, im Gegensatz zu den beiden vorherigen, wohl ziemlich allen ein Begriff sein sollte. Auch wenn der Film weniger verstörend ist, wie Felidae oder Watership Down, so ist er aus heutiger Sicht, aus der Sicht eines Erwachsenen, jedoch deutlich tiefgründiger und weniger greifbar für Kinder, als man es zuerst vermuten würde. Um ehrlich zu sein, schreibe ich die meisten Rezensionen immer in einem Schwung weg, schlafe noch einmal drüber und korrigiere einzelne Passagen oder ändere sie ab. Nicht so bei diesem Text. Ich versuche insbesondere die Reihe „Kindheit ruiniert“ lustig und zynisch zu halten, wobei eine positive Grundstimmung von Nöten ist. Diesen Film zu schauen oder gar dran zu denken, verschafft mir allerdings ein so immenses Unwohlsein, dass dieser Text über mehrere Abende hinweg entstanden ist. Und dennoch, ist er stilistisch weit von Teil 1 & 2 entfernt. Aber lest selbst.

DAS LETZTE EINHORN von 1982 ist eine Verfilmung der gleichnamigen Romanvorlage von Peter S. Beagle aus 1968. Auch wenn der Titel es vermuten lässt, geht es nicht wirklich um „Das letzte Einhorn“, die Geschichte ist deutlich tiefgründiger und handelt von Gewalt, Depressionen, Einsamkeit, Liebe & Hass. Quasi die gesamte Dialektik von Gut und Böse wird in diesem 89-Minütigen filmischen Meisterwerk – ja, ich bezeichne es so – behandelt. Fun Fact: Im Original haben sowohl „Der Dude“ Jeff Bridges, als auch „Saruman“ Sir Christopher Lee eine Sprechrolle. Letzterer synchronisiert sich übrigens auch im Deutschen selbst.

Vielen geht es sicherlich so wie mir. Man hat in jungen Jahren den Film, meist zu Weihnachten oder Silvester, im Fernsehen gesehen und hat hauptsächlich positive Erinnerungen, mit einigen wenigen Ausnahmen. Doch glaubt mir, diese Erinnerungen sind FALSCH! Der Film läuft erst wenige Sekunden bis der Soundtrack startet und sofort legt sich Gänsehaut über den ganzen Körper. Aber nicht die gute Gänsehaut, nein, die schlechte, böse, hinterfotzige. Die Gänsehaut, die nachts dafür sorgt, dass man nicht schlafen kann. Auch wenn ich, wie mir oft vorgeworfen wird, in Reviews oder Blogartikeln Superlative im Übermaß nutze und häufig ins Unermessliche übertreibe, so sind diese Worte durchaus wahr: Dieser Film verschafft mir Gänsehaut und eine innere Unruhe und ich fühle mich „beklemmt“. Offenbar ist dieser Film doch nicht so ganz ohne und die Angst, die Unmut – die negativen Gefühle zu DAS LETZTE EINHORN sind irgendwo tief verwurzelt. Und wir lassen sie jetzt raus.
Interessant hierbei ist auch, dass der Streaminganbieter meines Vertrauens (der, der auch Pakete liefert) bei Start des Films, dass übrigens auch dort als Kinderfilm gelistet ist, im oberen linken Bildschirm Teil eine Warnung vor „Gewalt“ einblendet. Ich glaub‘, mehr muss man nicht sagen, um die Absurdität noch weiter zu verdeutlichen.

Der Film startet ganz idyllisch, mit unfassbar schlecht animierten Waldaufnahmen und ruhiger Musik. Mir ist bis dato nie aufgefallen, wie schlecht die Animation eigentlich ist. Klar, als kleiner Bub achtet man auch nicht drauf, aber nun wird es mir das erste Mal richtig bewusst. Die Animation wirkt ein wenig so, als hätte das ritalinabhängige Nachbarskind auf Frischhaltefolie gemalt, um diese Kunstwerke dann langsam über ein „Malen nach Zahlen“ Buch mit nur 2 Zahlen zu ziehen, um die Bewegung ins Bild zu bekommen. Wir lernen schnell, dass das Einhorn das letzte seiner Art ist und auch das Einhorn selbst realisiert dies auf eine sehr schwermütige Art und Weise. Wir lernen weiter, dass Einhörner auch gejagt oder getötet werden können, aber sie deswegen ja noch lange nicht verschwinden und Einhörner ohnehin unsterblich sind.
Durch einen recht dement wirkenden Schmetterling, für den ich mir Helge Schneider sehr als Synchronsprecher gewünscht hätte und der keinen geraden Satz zustande bringt, erfahren wir von „dem roten Stier“, der alle Einhörner gejagt und vertrieben hat. Die Tatsache, dass der Schmetterling unheimlich verwirrt klingt und viele Geschichten gleichzeitig erzählt, wirkt die ganze Szenerie etwas düster. Für Kinder sicherlich nicht die beste Kost, aber noch nicht weiter dramatisch, solange man bei der Erziehung viel auf Angst setzt, sogar sehr zu empfehlen. Unser kuscheliges Einhorn flieht daraufhin aus dem Wald (wer würde das auch nicht bei derartigen Schmetterlingen) und hört immer wieder die bedrohende Warnung vor dem roten Stier in den Gedanken rumschwirren. Hier wird es jetzt noch einmal eine ganze Spur düsterer.
Unser vierbeiniger Freund trifft kurz darauf auf einen Bauern, der das Einhorn für eine Stute hält, weil nur Leute, die an Einhörner glauben, diese auch sehen können. Der schelmische Bauer zieht nach dem ersten Blick auf das Einhorn sofort seinen Gürtel aus. Wer nun einen extrem widerwärtigen Hentai-Porno erwartet hat, wird leider enttäuscht, denn der Bauer will das Einhorn nur fesseln und einfangen. Wir lernen also: Traue keinem Bauern ohne Hose – oder zumindest ohne Gürtel. Die Message, nicht allen Fremden sofort zu trauen, ist jedoch wirklich gut und wichtig, wenn auch etwas fragwürdig rübergebracht.

Richtig weird wird es aber erst, als die Stute mit dem Umschnalldildo auf dem Kopf am Wegesrand einschläft und von der wohl abgewracktesten Zeichentrickhexe überhaupt eingefangen wird. Diese tackert per Zauber dann noch ein leuchtendes Knicklicht auf die Stirn des Einhorns, damit auch Ungläubige dieses als Einhorn erkennen. Später wird das Einhorn dann mit anderen scheinbar magischen Wesen ausgestellt. Unter dem Motto „Geschöpfe der Nacht ans Licht gebracht“ zeigt Quasimodos Cousin Rukh den Menschen allerhand mystische Wesen. Diese sind jedoch, bis auf die Harpyie alle nicht real und nur von der creepy Hexe Mommy Fortuna (komischer Name übrigens) verzaubert. Selbes Prinzip wie das Knicklicht auf der Einhornstirn. Es ist schon komisch, dass in einem Kinderfilm ab sechs Jahren ganz offen damit umgegangen wird, dass es eigentlich vollkommen in Ordnung ist, allerhand Tiere und Wesen für den eigenen Vorteil zu versklaven.
Kollege Einhorn lernt im Zirkus außerdem den Zauberer mit dem geilsten Namen überhaupt kennen: Schmendrick. Ich wiederhole: SCHMENDRICK! Dieser erzählt dann noch einen vom Pferd und stellt die Harpyie vor. Zauberer Schmendrick lässt daraufhin das Einhorn frei, und das Einhorn die Harpyie. Eben jene Harpyie bedankt sich daraufhin beim Einhorn, indem sie es angreift und umbringen will. Wird, dank zu kurzer Aufmerksamkeitsspanne, dann jedoch abgelenkt, tötet und frisst stattdessen Mommy Fortuna und ihren buckligen Genossen. Typischer Plot für einen Kinderfilm. Wer erinnert sich nicht gerne an die früheren Gute-Nacht-Geschichten, die von menschenmordenden Fabelwesen handeln.

Es folgt eine recht belanglose Szene, in der Schmendrick der Zauberer von waldbewohnenden Räubern entführt wird und dann irgendeinen Hokuspokus vollführt, um ihnen zu entkommen. Da Schmendrick allerdings selbst kein Stück an sich glaubt und das Selbstbewusstsein einer Kaulquappe hat, funktioniert das nicht so ganz und es folgt eine der verstörendsten Szenen des Films.

Schmendrick wird an einen Baum gefesselt, den er, dank seiner nicht vorhanden Kräfte, in eine Baum-Uschi verwandelt und an diese festgekettet ist. Dies ist eben die Szene, die mir seit Erstsichtung nicht aus dem Kopf ging, weil ich sie so beunruhigend fand. Und auch im heutigen Alter ist sie noch immer verstörend. Das Einhorn befreit Schmendrick den Lustmolch daraufhin und die Frau des Räuberkönigs, Molly Grue, schließt sich der Gruppe um MC Schmendrick an.

Unbenannt
© 1982 International Rankin/Bass Produktion

Kurz vorher wirft es jedoch dem Einhorn unter Tränen vor, ein Leben lang gewartet zu haben, um eines zu sehen. Diese Szene ist einfach nur surreal. Ich weiß nicht, was derartige Vorwürfe unter Tränen einer eigentlich nett wirkenden Trickfilmfigur in einem Kinderfilm zu suchen haben. Hier fängt doch jedes Kind automatisch auch gleich zu weinen an.
Eine kurze Wanderung später treffen wir endlich das erste Mal auf den roten Stier, der sofort die Jagd auf das Einhorn eröffnet. Wie wir erfahren, will er es allerdings nur jagen, nicht aber töten. Dann ist ja alles gut, dachte schon, der Film wäre für Kinder ungeeignet. Um das Einhorn dann zu retten, bittet Molly Grue Schmendrick, das Einhorn in etwas anderes zu verwandeln. Dieser verwandelt das Einhorn dann in eine menschliche Frau, ab sofort Lady Amalthea genannt, und holt sich dafür einen tierischen Einlauf ab. Das Einhorn weint und sagt, es hat Angst vor dem menschlichen Körper und auch Molly Grue ist davon nicht sonderlich begeistert.

Die Gruppe um das Einhorn trifft dann endlich auf das Schloss von König Haggard, dem Herrn des roten Stiers und verschafft sich durch Lügen Einlass. Kurz darauf luchst Schmendrick dem Hofzauberer dann noch den Job ab und macht ihn arbeitslos. Wo der Stiefsohn von König Haggard von der deutschen Synchronstimme des Dudes gesprochen wird, was das Ganze etwas lustig macht, wird König Haggard auch im deutschen von Christopher Lee gesprochen, dessen tiefe, eingängige Stimme durch die besondere Betonung des Engländers sehr fremd und bedrohlich wirkt.

Das Trio verbringt so nun einige Zeit im Schloss und das Einhorn vergisst immer mehr, was es ist und woher es kommt, da es schon längere Zeit als Mensch lebt. Dennoch verliebt es sich in den Dude Prinzen Lír und beschließt, dass das Leben als Mensch gar nicht so schlecht ist und nun für immer Mensch bleiben möchte. Wir lernen also, dass es vollkommen ok ist, sein wahres Inneres zu verleugnen und sich für alle um sich herum zu verbiegen. Find ich gut, so könnte der Film doch enden. Ist doch eine tolle Geschichte.

Aber nein, es muss noch ein kurzes Zwischenspiel mit König Haggard kommen, der ganz trocken und eiskalt erzählt, dass er seinem roten Stier befohlen hat, alle Einhörner zu jagen und ins Meer vor seinem Schloss zu treiben, weil er die so schön findet und ansehen möchte. Natürlich muss das mit allen Einhörnern geschehen, da die Schönheit dieser Tiere nur für ihn ist. Wichtige Info für den Film!
Aber naja, durch ein sprechendes, betrunkenes Skelett erfahren wir nun auch, dass man durch eine Zauberuhr in die Höhle des roten Stiers gelangt. Gesagt, getan. Der Stier dreht natürlich vollkommen durch und merkt schließlich, dass Lady Amalthea ein Einhorn ist. Damit das Einhorn fliehen kann, verwandelt Schmendrick es zurück in die wahre, tierische Gestalt. Verdammt, dabei war es doch so ein schönes Ende mit dem Prinzen! Unschön dann jedoch, dass der Prinz das Einhorn retten möchte und dabei vom Stier getötet wird. Das Einhorn jedoch, von dieser Tat so berührt, kämpft schließlich gegen den roten Stier und gewinnt. Daraufhin fliehen alle Einhörner aus dem Meer zurück in die Wälder, das Einhorn erweckt Prinz Lír wieder zum Leben und die Burg vom Bösen König Haggard stürzt ein und erschlägt ihn dabei. In den letzten fünf Minuten des Films sind also glatt drei Charaktere gestorben und einer durch ein magisches Einhorn wieder zum Leben erweckt worden. Ich betone noch einmal, dass es sich hierbei um einen Kinderfilm mit FSK 6 handelt.

Wer jetzt denkt, dass das eigentlich ein Happy End ist, der irrt gewaltig. Denn das Einhorn, welches Schmendrick, Molly Grue und Lír verlässt, kehrt noch einmal zurück und erklärt Schmendrick, dass es noch immer so einsam ist wie zuvor, da es das einzige Einhorn ist, das Liebe, Leid, Glück und Mitleid kennt. Das Happy End des nicht mehr letzten Einhorns ist demnach eine dreiste Lüge. Zwar ist es nicht mehr das Einzige auf der Welt, aber dennoch genauso allein und einsam wie zuvor.

Diese Schlussszene ist auch ein perfektes Spiegelbild für den gesamten Film. Zwar ist dieser, abgesehen von einigen wenigen Kraftausdrücken und lapidar dargestellten Gewaltszenen, nicht wirklich brutal, unterschwellig jedoch harter Tobak. Ausnahmslos alle Charaktere sind zynisch, traurig, depressiv und einsam. Jeder denkt eigentlich nur an sich und bis zum letzten Moment des not so happy ends, ist jeder sich selbst der Nächste. Das explizit Verstörende lässt sich gar nicht wirklich ausmachen. Es ist der gesamte Film und die düstere Atmosphäre, die den Film jedoch so beängstigend und absolut unpassend für Kinder macht.