Jeder kennt mindestens einen Film, der die eigene Kindheit hoffnungslos ruiniert hat oder zumindest nachhaltig beeinflusst und fragend zurückgelassen hat. Sei es nur durch kurze Aussagen, wie Steve Buscemi über Gott und die Geschehnisse auf der Welt in „Spy Kids 2“, oder Atreju, der in „Die unendliche Geschichte“ erfolglos versucht seinen treuen Gefährten Artax vor dem Versinken in den Sümpfen der Traurigkeit zu retten.
Mit unserem neuen Format wollen wir uns wöchentlich einem dieser Filme annehmen und, nicht immer ganz ernst im typischen SMV-Stil, berichten. Achtung, es folgen Spoiler.

FELIDAE – Warum Katzen einfach scheiße sind

Wenn ich mich recht erinnere, habe ich den Film das erste Mal in jungen Jahren zusammen mit meiner älteren Schwester gesehen. Beide bis heute noch traumatisiert. Ein Film, der zwar davon spricht, dass „ein Katzendetektiv eine Mordreihe im Viertel aufklärt“, aber suizidale Katzensekten, brutale Gewalt und eine extrem raue Sprache komplett verschweigt. Dazu kommt dann noch Boy George, ein Helge Schneider Gastauftritt und irgendwelche LSD-Trip Träume mit irgendwelchen geisteskranken Ärzten und man kann direkt den Termin für den Psychiater vereinbaren.

Der Film FELIDAE ist eine Zeichentrickverfilmung aus 1994 des gleichnamigen Romans von Akif Pirinçci, veröffentlicht im Jahr 1989. Der Film ist heutzutage ab zwölf Jahren freigegeben, wurde aber damals im PayTV als „Katzenfilm für die ganze Familie“ beworben und, wenn mich nicht alles täuscht, zu dieser Zeit mit FSK 6 in der guten alten Fernsehzeitung ausgeschrieben.
19479463Der Film startet mit einem ruhigen Song, gesungen von Boy George. Allein dies sollte schon mal eine FSK 18 nach sich ziehen. Nicht einmal zwei Minuten dauert es und wir lernen Kater Francis, den Protagonisten, kennen. Dieser startet, bevor er auch nur ein irgendetwas anderes sagt, mit „Wenn Sie meine Geschichte tatsächlich hören wollen, so müssen Sie sich zunächst mit dem Gedanken vertraut machen, dass Sie keine angenehme Geschichte hören werden“.
Liebe Eltern, wenn ein Kinderfilm mit Katzen so startet, dann macht ihn verdammt noch mal aus, das kann nicht gut enden. Außer ihr hasst eure Kinder, dann macht lauter und holt die 3D Brillen raus, denn jetzt wird es heftig.

Die Menschen in FELIDAE werden beinahe durchgehend „Dosenöffner“ genannt und so schon einmal deutlich in ihrem Sein reduziert. Für Kinder sicherlich nicht direkt fassbar, aber im Nachhinein betrachtet sicherlich etwas fragwürdig. Es dauert nur wenige Minuten, bis unser kuscheliger Freund Francis auf Blaubart trifft, einem homophoben, verstümmelten und sehr rauen Kater aus der Nachbarschaft. Diese beiden entdecken im Garten den toten Sascha der von „den verfluchten Dosenöffnern ein Sonderventil in den Nacken verpasst bekommen hat“.
Man könnte meinen, diese Beschreibung entstammt irgendeinem düsteren Mafiafilm aus den 2000ern. So kann man sich irren, denn so wird der Mord an einer Katze in einem Kinderfilm beschrieben, dazu noch ein paar Mal die Worte „scheiße ja“, „scheiße nein“ und die Kindheit befindet sich in der Abwärtsspirale. Dass im weiteren Verlauf Saschas Leiche noch als kalter Sack betitelt wird, erscheint da eher harmlos.

Kurze Erholung und weiter geht’s. Francis geht zurück in sein Haus und schläft auf dem Bett ein. Soweit nicht weiter wild. Doch kaum fängt er an zu träumen, wird er von verrückten Ärzten ohne Gesicht gejagt, angekettet und mit einer Eisenkette an die Zimmerdecke geschleudert. Da Francis diese Absurdität wohl selbst nicht aushält, geht dieser zur Besichtigung der nächsten Leiche mit Blaubart zu einer Garage. Unterwegs treffen sie auf die Kater Hermann, Hermann und Kong. Es folgen perfide Anfeindungen, Beleidigungen und etliche homophobe Sprüche, für die man heutzutage (zu recht) auf der Straße verprügelt werden würde. Ist ja nicht schlimm, ist ja nur ein Kinderfilm.
Unser Oberklugscheißer Francis trifft kurz darauf in der Garage ein, begutachtet eine Leiche mit äußerst blutiger aufgeschlitzter Kehle, lässt ein paar homophobe Sprüche ab, hört sich Blaubarts Pöbeleien an und geht zurück in sein Haus, wo er sich versucht schlafen zu legen. Der junge Zuschauer bekommt schon nervöse Angstzuckungen in der Befürchtung, dass gleich wieder gesichtslose Ärzte irgendwelche Katzen durch die Gegend schleudern. Aber nein, es folgt nur ein kurzes Zwischenspiel der „Sekte des Claudandus“, die einen Katzen-Märtyrer namens Claudandus anbeten und bei dem sich die Katzenanhäger auf Geheißen ihres Sektenführers „Joker“ mit Strom aus einer Art Indoor-Hochspannungszaun selbst töten. Das Ganze wird noch zynisch von Francis kommentiert mit den Worten „wahrlich, dieses tolle Treiben ist jenseits von Aristokats“.
Jetzt mal ehrlich: Hat da einer der zuständigen Autoren eine toxische Mischung aus Katzenpisse, Sekundenkleber und LSD in kleine Ampullen gefüllt und morgens immer in die Cornflakes gekippt oder was bringt einen dazu, so eine Szene in einen verdammten Katzenkinderfilm zu packen?
Ich geh doch auch nicht in die Grundschule, werf‘ ein Haufen Meerschweinchen gegen die Tafel und rufe „Grill steht draußen, macht Euch Frühstück“.

Man könnte meinen, es wird mit dem Auftauchen der blinden Katze Felicitas, die durch ihre milchigen Augen schon etwas spooky wirkt, besser. Doch es wird nicht besser, sie erzählt einfach ganz entspannt, wie sie von Ärzten misshandelt und blind gemacht wurde und seit Tagen die Todesschreie der Kater in der Umgebung hört und wird kurz darauf, nachdem wir den psychotischen und hardcore anthropomorphisierten Kater Pascal kennenlernen, getötet. Aber keine Sorge, es wird Ihr nicht einfach nur ein Sonderventil in den Nacken geschlitzt, das Biest wird einfach mal geköpft und wir sehen Francis, wie er vom Dach aus auf die Blutlache seiner einzigen richtigen Freundin blickt. Der Körper liegt am Boden im Blut, der Kopf mit weit aufgerissenen Augen etwas daneben.

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Wenn man seine Kinder verstören will, dann zeigt man denen am besten einfach Texas Chainsaw Massacre, wie jeder andere normale Mensch auch, und fängt nicht an irgendwelche, sich für immer einbrennende, Bilder toter Zeichentrickkatzen auf dem Wohnzimmerfernseher abzuspielen. Himmel Arsch und Fick noch eins. Zum Glück bin ich mittlerweile in einem Alter, in dem ich Boonekamp trinken darf. Sonst würde ich mich schon jetzt nach detailreicher erneuter Sichtung des Films mit Schmusedecke verkriechen und über die Dialektik von Gut und Böse der Katzenwelt philosophieren.

Wie dem auch sei, nach den nächsten wilden Pöbelaktionen von Blaubart und unserem Lieblingskatzendetektiv Francis kommt die nächste LSD-Traumsequenz, in der sich irgendein psychotischer Geistlicher aus einem Meer von Katzenleichen erhebt und kryptische Hinweise zur Lösung des Falls präsentiert. Damit das Ganze auch ja nicht zu kindgerecht ist, wird das Ganze noch mit bedrohlich klingender Streichermusik untermauert, während dieser ominöse geistliche Hurensohn die Katzenleichen an Schnüren aufknüpft und mit ihnen, während die Leichen sich langsam zersetzen und zerfallen, ein kleines Puppenspiel aufführt.

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Kater Francis scheinen seine Trips gar nicht weiter zu stören und so wacht er auf, tötet ein paar Mäuse, denen er den Kopf abbeißt und findet im Keller seines Hauses einen offenbar durchgehend laufenden Fernseher, auf denen er Aufnahmen der vorherigen Hausbewohner findet. In diesen Aufnahmen sieht er, wie irgendein alkoholkranker Arzt mit seinen Assistenten, einer davon der Dosenöffner von Kater Pascal, wilde Josef-Heiter-Experimente an Katern, unter anderem an Claudandus, vornimmt. Hierbei werden die Kater einfach aufgeschlitzt, die Köpfe aufgebohrt und es werden ihnen allerhand anderer Schandtaten angetan.
Die Aufnahmen enden mit irgendwelchen kryptischen Schreien vom Doktor und der Aussage, Claudandus würde mit ihm sprechen.

Direkt ohne Pause und ohne Zeit, seine Kinder mal kurz in Therapie zu schicken, geht es weiter mit Kong, Hermann und Hermann, die Francis im Keller angreifen und verfolgen, bis sie nach einer langen Verfolgungsjagd durch Keller und anschließend Garten die nächste Katzenleiche finden, irgendeine Freundin von Kong, der jetzt auf einmal ganz handzahm ist und Rache schwört. Welch ein Plot-Twist!

Außerdem lernen wir den Totengräber-Kater Jesaja kennen, der unter den Gartenanlagen tausende, verrottende und skelettierte Katzenleichen versteckt und beherbergt. Zum Glück ist diese Szene an und für sich recht therapierend, denn Jesaja wird von der deutschen Musikikone Helge Schneider synchronisiert, was eindeutig dafür sorgt, dass man ihn nicht so ganz ernst nehmen kann.

Die verstörendsten und brutalsten Filmszenen sind nun Gott sei Dank vorbei. Der, ich wiederhole, Kinderfilm zeigt nur noch kurz Francis, wie er eine namenlose Katzenlady vögelt und später Blaubart ausführlich von seiner namenlosen Errungenschaft berichtet. Die Message hieraus ergibt sich mir noch nicht ganz, allerdings wundert mich bei diesem Film so schnell auch gar nichts mehr.
Francis und Pascal spielen weiter Sherlock Holmes & Dr. Watson und philosophieren weiter über den tieferen Sinn der brutalen Mordserie und loben beide den Mörder als herausragendes Genie und so weiter und so fort. Sie beschließen, dass unser alter Freund Joker, der Elektrozaun-Sektenführer, sicherlich der Mörder sein muss. Diese These wird durch das Verschwinden von Joker noch untermauert, sodass sie ihre neuen Erkenntnisse direkt der Katzengemeinde mitteilen.

Die vierbeinige Denkmaschine Francis ist jedoch nicht mehr sonderlich überzeugt von dieser These und findet heraus, dass auch Joker brutal ermordet worden ist. Überflüssig zu erwähnen, dass auch diese Darstellung äußerst detailreich und brutal ausfällt, zumindest im Bezug auf die Tatsache, dass es sich um einen Kinderfilm handelt. Nachdem Francis dann noch rausfindet, dass Pascals Dosenöffner im Labor des verrückten Professors und Dr. Heiter Verschnitts ein Versuchsobjekt war, ist für ihn die Sache klar. Er lernt jetzt einmal schnell Genetikbücher zu lesen und Computer zu bedienen und schon ist es für ihn klar: Pascal ist Claudandus. Was für ein Mindfuck! Wir sind alle zu tiefst geschockt von dieser Wendung!

Es folgt ein Kampf auf Leben und Tod. Hierbei gerät Pascals‘ Wohnhaus in Flammen und Pascal und Francis kämpfen unerbittlich. Der Kampf endet mit den beiden blutüberströmten Katern damit, dass Francis Pascal den Bauch aufschlitzt, während Pascal über ihn springt und alle Gedärme herausfliegen und sich auf dem Boden verteilen. Ich bin eher in dem „Menschen an Ärsche annähen“ Genre bewandert, aber ich glaube, hier ein typisches Kinderfilm Happy-End zu erkennen. Wie schon bei anderen großartigen Kinderfilmen wie „Der König der Löwen“, „Wenn der Wind weht“ oder „Mulan“ endet auch dieser Film mit einem brutalen Tod eines Protagonisten.

Als Fazit bleibt zu sagen: Der Film ist keinesfalls etwas für Kinder. Wer diesen Film als Kinderfilm tituliert, hat eindeutig zu viel Boonekamp in sein Kokain/LSD Cocktail gekippt. Allerdings ist der Film, von der Seite des Erwachsenen aus gesehen, auf eine gewisse Art polarisierend. Er ist erstaunlich tiefgründig und schwarzhumorig und beschäftigt sich mit den Abgründen von Mensch und Tier. Dies vor dem sehr zynischen Hintergrund, dass es sich hierbei um einen Kinderfilm handelt, macht durchaus einen gewissen Charme aus.